Schottland: Dämpfer für Nationalisten in letzter Minute

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epaselect BRITAIN SCOTTISH REFERENDUM(c) APA/EPA/ANDY RAIN (ANDY RAIN)
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Emotionales Finish vor dem Referendum am Donnerstag. Das Unabhängigkeitslager verheimlichte ein Dokument, das starke Kürzungen im Gesundheitswesen vorsieht. Die Unionisten sprechen von „Wählertäuschung“.

Edinburgh. Ob es der von den Gegnern der Unabhängigkeit Schottlands verzweifelt gesuchte „game-changer“ ist, wird sich weisen. Aber ein Geheimpapier über das staatliche Gesundheitswesen (NHS) sorgte in der Schlussphase vor der Volksabstimmung für gewaltige Aufregung. Das Dokument spricht von der Notwendigkeit massiver Einsparungen, was für die Nationalisten umso unangenehmer ist, als sie behauptet hatten, nur ein Ja zur Unabhängigkeit könne das staatliche Gesundheitswesen sichern.

Ex-Schatzkanzler Alistair Darling als Führer des Lagers der Unionisten warf den Nationalisten „Wählertäuschung“ vor. „Ich finde das ziemlich widerlich“, sagte er – für seine Verhältnisse fast ein Temperamentsausbruch. In dem Papier, das ein Informant der BBC zuspielte, ist von der Schließung von Krankenhäusern, der Kürzung von Leistungen und der Einsparung von 400 Millionen Pfund die Rede. „Der status quo kann nicht länger aufrecht erhalten werden“, gaben die Spitzenmanager des schottischen NHS auf einer Beratung am 6. August zu Protokoll. Maßnahmen seien unausweichlich und unaufschiebbar.

Diese Einschätzung steht in direktem Widerspruch zu den Versprechen der schottischen Führung, das staatliche Gesundheitswesen „schützen und ausbauen“ zu wollen. Seit First Minister Alex Salmond in der zweiten TV-Debatte Ende August den Vorwurf erhob, dass die Londoner Sparpolitik die Gesundheitsvorsorge der Schotten gefährde, sind die Nationalisten in Umfragen auf der Überholspur. Erhebungen wie der Scottish Social Attitudes Survey zeigen, dass für die Bevölkerung das Gesundheitswesen die wichtigste öffentliche Institution ist. Der Informant der BBC gab die Dokumente weiter, weil er „die Argumentation der Nationalisten satt“ habe. Tatsächlich flunkerte Salmond in der TV-Debatte: London hatte das Gesundheitsbudget von Kürzungen ausgenommen.

Allparteien-Appell aus London

Unterdessen richteten der konservative britische Premierminister David Cameron, sein liberaler Stellvertreter Nick Clegg und Labour-Oppositionschef Ed Miliband einen fast schon verzweifelten Appell an die Schotten, den gemeinsamen Staat nach 307 Jahren nicht zu verlassen. In einem offenen Brief in der schottischen Zeitung „Daily Record“ versprachen sie „umfassende neue“ Autonomierechte und „gleichberechtigten Zugang“ zu den Ressourcen des gemeinsamen Staates. Die Unabhängigkeitsanhänger reagierten voller Hohn („Warum erst jetzt?“, fragte Salmond), und sprachen dem Versprechen „jede Glaubwürdigkeit“ ab.

Letzte Anstrengungen beider Lager zeigen, wie knapp die Entscheidung bei der Volksabstimmung wird. Wenn Freitagmorgen gegen 07.00 Uhr früh Lokalzeit das Ergebnis verkündet wird, werden die 5,3 Millionen Schotten aber ungeachtet des Resultats weiter miteinander leben müssen. Angesichts der Polarisierung in den letzten Wochen riefen die Scottish Chambers of Commerce bereits zur „Aussöhnung“ auf: „Wie auch immer die Volksabstimmung ausgeht, wir werden weiter zum Wohl unseres Landes zusammenarbeiten müssen.“

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.09.2014)

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