USA planen eine Alternative zur UNO

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US-Präsidentschafts-Kandidat McCain will eine Organisation schaffen, die entschlossener in Krisen eingreift als die Vereinten Nationen. Die Idee könnte die Welt spalten.

Noch ist es bloß eine Idee. Doch sie gewinnt immer mehr Anhänger. John McCain könnte den Gedanken sogar ins Zentrum der Macht tragen, ins Weiße Haus. Mehrmals hat sich der republikanische Präsidentschaftskandidat in den vergangenen Wochen dafür ausgesprochen, eine „Liga der Demokratien“ zu schaffen. Die neue Organisation soll da einschreiten, wo die Vereinten Nationen versagen. Es soll kein endloses Palaver mehr geben, keine Selbstlähmung wie im UN-Sicherheitsrat, kein tatenloses Zusehen bei Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Russland und China könnten nicht mehr so leicht ihre schützenden Hände über verbündete Schlächterregime halten und dabei die Lordsiegelbewahrer des Völkerrechts mimen. Denn es gäbe ein anderes Gremium, das – am Blockade-Duo vorbei – humanitäre Interventionen oder Sanktionen beschlösse: die „Liga der Demokratien“.

Es ist eine zutiefst amerikanische Idee, geboren aus der Unzufriedenheit mit der UNO, gespeist aus den Erfahrungen in Bosnien, Somalia, Ruanda, Kosovo und jetzt in Burma, als der paralysierte Sicherheitsrat entschlossenes Handeln verhinderte. In den USA findet das Konzept sowohl bei Liberalen als auch bei Konservativen Anklang.

Ivo Daalder, inzwischen im Beraterstab des demokratischen Präsidentschaftsbewerbers Barack Obama, war gemeinsam mit James Lindsay einer der ersten Politologen, der sich darüber den Kopf zerbrach. „Allianz der Demokratien“ nannten sie 2004 ihr Projekt, das sie drei Jahre später, umgetauft als „Konzert der Demokratien“, in der Zeitschrift „The American Interest“ detaillierter vorstellten: An die 60 Orchestermitglieder schweben ihnen vor.

Ein exklusiver Kreis. Nicht jedes Land, das Wahlen abhält, soll deshalb gleich aufgenommen werden. Zutritt hat nur, wer Bürger- und Grundrechte einhält. Ägypten, Jordanien und Russland blieben nach diesen Kriterien draußen.

Neue Aufteilung in „Gute“ und „Böse“

Die kürzere Gästeliste ist einer der gravierenden Unterschiede zur sogenannten „Gemeinschaft der Demokratien“, die es auf nicht mehr als zwei Tagungen brachte: 2000 in Warschau und 2005 in Santiago de Chile. Das neue Bündnis soll da schon anders strukturiert sein, es soll ein Sekretariat, ein Budget und regelmäßige Gipfeltreffen haben.

Planen die USA eine Gegenveranstaltung zur UNO? Nein, beteuern Daalder, McCain & Co. Der Demokratieklub solle die Vereinten Nationen bloß ergänzen, denn Spezialorganisationen wie das UN-Flüchtlingshilfswerk oder die Weltgesundheitsorganisation funktionierten doch wunderbar. Kritiker vermuten indes, dass die USA die UNO untergraben wollen, François Heisbourg etwa: Der Vorschlag des neokonservativen amerikanischen Ex-UN-Botschafters John Bolton, am besten zehn der 38 Stockwerke des New Yorker UN-Hauptquartiers abzutragen, sei im Vergleich zur „Allianz der Demokratie“ geradezu sanftmütig und moderat gewesen, meinte der französische Starpolitologe.

Er ist nicht der Einzige, der warnt. Auch amerikanische „Realisten“ wie Brent Scowcroft, einst Sicherheitsberater unter Bush senior, machen sich Sorgen: Sie befürchten, dass die „Liga der Demokratien“ die Welt spaltet. Auf der einen Seite die „guten“ westlichen Demokratien unter der Führung der USA, auf der anderen die „bösen“ Autokratien wie China und Russland. Robert Kagan, wichtiger Berater McCains, hat mit einer solchen Unterteilung keine Probleme. Denn ihm zufolge spiegelt sie eine Realität wider, die nur Träumer nicht wahrhaben wollen. Die Vorstellung, dass sich Russland und China mit wachsendem Wohlstand in demokratische Verbündete des Westens verwandeln würden, habe sich als Trugschluss erwiesen, argumentiert er in seinem neuen Buch „Die Demokratie und ihre Feinde“. Der Westen müsse nun die Herausforderung der blühenden Autokratien annehmen und die Freiheit offensiv verteidigen.

Skepsis in Deutschland

Doch wo bliebe die Legitimität einer „Liga der Demokratien“, wo doch bisher nur die UNO völkerrechtlichen Segen erteilen kann? Für Daalder und Lindsay ist der Fall klar: Wirkliche Legitimität könne nur vom Volk kommen. Autokraten aber verträten ihr Volk nicht. Außerdem sei Legitimität mehr eine Frage der Moral als des Verfahrens. Sei es denn legitim, Völkerrechtsverletzungen einfach untätig hinzunehmen?, fragen sie.

Vor ihren Karren wollen die Amerikaner vor allem jene spannen, die sich vergeblich um eine ständige Aufnahme in den UN-Sicherheitsrat bemühten, also Brasilien, Indien und Deutschland. Doch in den Denkfabriken dieser Länder macht sich Unbehagen breit. In einer „Allianz der Demokratien“, die ja nur der Absicherung der US-Hegemonie diene, werde es schwerer, sich wie noch vor dem Irak-Krieg militärischen Interventionswünschen zu widersetzen, meint Peter Rudolf von der Berliner „Stiftung Wissenschaft und Politik“. Er rät der deutschen Regierung, die Allianz mit Fragen zur Organisation zu verzögern oder gleich jetzt massiv abzulehnen.

Im Moment aber scheint jeder abzuwarten, ob John McCain die Wahl gewinnt – und ob er sich nach einem Sieg noch an die „Liga der Demokratien“ erinnert.

HINTERGRUND

Einen Klub der Demokraten unter der Führung der USA gibt es natürlich schon jetzt: die Nato. Doch bisher sind der transatlantischen Allianz regionale Grenzen gesetzt. In die „Liga der Demokratien“, die nun John McCain und andere US-Politiker als „Ergänzung zur UNO“ schaffen wollen, sollen an die 60 Staaten von Indien, Australien über Europa bis Afrika und Lateinamerika zugelassen werden. Zutrittsberechtigung sollen nur Länder haben, die Grund- und Freiheitsrechte wahren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.05.2008)

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