Devine: „Wien war ein gutes Jagdrevier für Agenten“

File photo shows the lobby of the CIA Headquarters Building in McLean, Virginia
File photo shows the lobby of the CIA Headquarters Building in McLean, Virginia(c) REUTERS (LARRY DOWNING)
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Jack Devine war in einige der berüchtigtsten CIA-Operationen verwickelt. Mit der „Presse“ sprach der 73-Jährige über Wladimir Putin, eine „komplizierter werdende Welt“ und die Massenüberwachung.

Wien. Vor 26 Jahren quält Jack Devine, damals Chef des CIA-Standorts in Rom, eine Frage: „Soll ich den Papst anlügen?“ Johannes Paul II. hatte sich bei einem Empfang nach Devines Beruf erkundigt. „Eure Heiligkeit, ich arbeite für die US-Regierung“, antwortet der Agent. Das war weder falsch noch die ganze Wahrheit. Ein Eindruck, der den Leser auch an einigen Stellen des Buchs „Good Hunting: An American Spymaster's Story“ beschleicht. Darin blickt der 73-jährige Devine auf seine 32-jährige CIA-Karriere (1967 bis '99) zurück.

Auf den Militärputsch in Chile zum Beispiel, der in die Diktatur des Augusto Pinochet führte. Devine, später Leiter aller Auslandsoperationen, war als junger Agent dabei, in Santiago de Chile. 1970 habe die CIA einen gescheiterten Coup orchestriert und später die Zeitung „El Mercurio“ finanziert. So viel räumt Devine in seinem Buch ein. Von dem Putsch 1973 habe der Geheimdienst aber selbst erst drei Tage davor erfahren. Devines Schilderung löste eine Kontroverse aus, Autor Peter Kornbluh zitierte in einer Replik die Aussagen des Ex-US-Außenministers Henry Kissinger zu dem Militärputsch: „Wir haben es nicht getan. Aber wir halfen ihnen, schufen die bestmöglichen Bedingungen dafür.“

Devines Karriere führt ihn an Wendepunkte der CIA-Geschichte, er war eine Randfigur in der Iran-Contra-Affäre, machte Jagd auf Drogenbaron Pablo Escobar und leitete die größte verdeckte CIA-Operation, die Bewaffnung der Mudjaheddin gegen die Sowjets. Später zogen die USA in Afghanistan, „auf dem Friedhof der Imperien“, selbst in den Krieg. Es gebe aber keine Hinweise, dass die CIA einst „Mudjahid“ Osama bin Laden bewaffnet hat, schreibt Devine, der heute die Beratungsfirma Arkin Group leitet.

Die Presse: Ein Teil Ihres Jobs ist es, künftige Krisen vorauszusagen. Welchen Konflikt sollte man beobachten, den die Öffentlichkeit nicht auf dem Radar hat?

Jack Devine: Ich mache mir Sorgen um Pakistan und seine Demokratie. Es besteht die Gefahr, dass das Land in einen islamischen Staat driftet. Ein Staat, der dem Westen gegenüber feindlich gesinnt ist und Atomwaffen besitzt: Für mich ist das ein Albtraumszenario. Wir sollten dabei helfen, sicherzustellen, dass Pakistan nicht ein islamischer Fundamentalistenstaat wie der Iran wird.

Apropos Prognosen: Hatten Sie eine Annexion der Krim auf der Rechnung?

Ich hielt es für möglich, war aber optimistisch, dass Russland Teil des Westens würde. In letzter Zeit driftet es wieder in Richtung „altes Russland“. Ein Enttäuschung.

Wladimir Putin war ein KGB-Agent. Was sagt das über seine Denkweise?

Es gibt viele Gemeinsamkeiten, wie Amerikaner und Russen das Geheimdienst-Geschäft betreiben. Die meisten Agenten, ob bei der CIA oder beim KGB, sind Patrioten. Sie können sich mit ihrer Mission identifizieren, und sie wollen studieren, wie die Welt funktioniert. Aber ein Agent unterscheidet sich nicht so grundsätzlich von seinem Nachbarn.

Wie also tickt Putin?

Es reicht ein Blick auf seine öffentlichen Aussagen: Er ist unglaublich enttäuscht über den Zerfall der Sowjetunion. Er hat das Gefühl, Russland wird in der internationalen Arena sein rechtmäßiger Platz verwehrt, er ist unglücklich dass die bipolare Weltordnung nach dem Ende des Kalten Kriegs durch eine einzige Weltmacht abgelöst wurde. Das ändert sich nun wieder. Es gibt viel Konkurrenz zwischen China, Russland und den USA. Die Welt ist viel komplizierter als vor 20 Jahren. Ich glaube, wir brauchen einen Neustart mit Russland. Es muss nicht feindlich zwischen unseren Ländern zugehen. Es gäbe großes Potenzial für eine enge Zusammenarbeit in einer Reihe von Feldern. Russland hat etwa auch Probleme mit dem Terrorismus.

Sie arbeiteten 32 Jahre für die CIA. Welche Rolle spielte Wien für Geheimdienste?

Überall dort, wo sich internationale Organisationen und große Botschaften niedergelassen haben, gibt es Möglichkeiten für Geheimdienste, auf die „Jagd“ zu gehen. Ich nenne das ein sehr gutes Jagdrevier. Zudem war Österreich ungefährlich, es war weder feindlich gegenüber dem Osten noch dem Westen. Deshalb war der Standort noch attraktiver. Hinzu kommt, dass Wien wunderschön ist. Es gibt kein Denguefieber oder Menschen, die andere Menschen köpfen. All das machte es zu einer Stadt, in der jeder sehr aktiv war.

Ist Wien noch immer eine Agentenstadt?

Es gab ja nie ein Interesse an Österreich selbst und seiner Politik. Das ist keine Kritik, es ist ein Kompliment. Nach 9/11 richtete sich der Fokus auf die Länder mit Terroristen. Die findest du nicht auf Coktailpartys.

Edward Snowden hat aber Material veröffentlicht, wonach Wien unter anderem ein Team des von NSA und CIA betriebenen Special Collection Service beherbergt.

Ich kann keine Standorte in Verbindung mit dieser Einrichtung kommentieren. Aber ganz allgemein: Alle Länder sammeln so viele Daten, wie es technisch nur möglich ist.

Die Kritik aus Europa an der Datensammelwut ist also heuchlerisch?

Was ich sagen will: Niemand sitzt da mit der Technik für Signal Intelligence (Abhören/Erfassen von Signalen) und verwendet sie nicht. Schauen Sie sich doch die Budgets von Ländern wie Deutschland oder Frankreich an. Jeder macht es! Natürlich entscheidet das Volk, welches Level an Privatsphäre es will. Deshalb sind die USA auch eines der Länder mit den stärksten Beschränkungen für das Sammeln der Daten von Amerikanern. Andere Länder haben gar keine Beschränkungen.

Diese US-Auflagen gelten aber nicht für das Ausspähen von Europäern. Heiligt der Zweck die Mittel?

Das Sammeln von Daten ist nicht per se unmoralisch. Es gibt dieses Zitat des früheren US-Außenministers Henry Stimson. Er sagte: „Gentlemen, lest nicht die Briefe anderer Gentlemen.“ Das glaubt doch niemand! Alle tun es.

Wenn Sie auf Ihre Karriere zurückblicken, was bereuen Sie?

Nichts. Ich habe manchmal Probleme mit der Politik der USA, wie etwa dem Irak-Krieg, aber nicht mit den Leuten, die diese Politik umsetzen – ob das nun die Armee oder die CIA ist. Und genau so denke ich auch über die meiste Zeit meiner Karriere bei der CIA.

Sie waren in sehr fragwürdige Operationen der CIA involviert, darunter Chile 1973 und die Iran-Contra-Affäre.

Ich war nicht glücklich mit dem Iran-Contra-Deal. Aber das wurde so vom Weißen Haus entschieden. Unglücklicherweise kann das nicht rückgängig gemacht werden. Und zu Chile: Es ist sehr tragisch, dass Pinochet sich als harter Diktator herausstellte. Niemand von uns wusste das.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.09.2014)

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