Tiefer Graben zwischen Ankara und Washington: Erdoğans Nein zur Allianz

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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan fordert einen Plan für die Zukunft in Syrien und im Irak. Das Hauptproblem bleibt aber Assad.

Istanbul. Zwischen der Türkei und ihren westlichen Partnern tun sich im Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) tiefe Gräben auf. Das Nato-Land weigert sich, an den am Dienstag begonnenen Angriffen auf den IS im Nachbarland Syrien teilzunehmen und wirft insbesondere den USA einen falschen Kurs vor. Präsident Recep Tayyip Erdoğan sagte, bloße Luftangriffe stellten einen Versuch dar, sich vor der Terrorbekämpfung „zu drücken“. Ein enger Erdoğan-Berater sprach von einem Abenteuer mit ungewissem Ausgang, für das sich die Türkei nicht hergeben werde.

Die Luftangriffe der USA und ihrer arabischen Verbündeten trafen nach türkischen Berichten auch Ziele in unmittelbarer Nähe der türkischen Grenze. Ankara stellte aber weder Flugzeuge noch Luftwaffenstützpunkte für die Angriffe bereit. Dabei hatte US-Außenminister John Kerry erst am Montag erklärt, Washington erwarte nach der Freilassung der fast 50 türkischen Geiseln aus der Gewalt des IS eine aktivere Beteiligung Ankaras an der internationalen Allianz.

Doch Erdoğan bleibt bei seinem Nein. Er fordert grundlegende Veränderungen im Irak und in Syrien, um dem IS die Unterstützung zu entziehen: mehr Rechte für die Sunniten im Irak und eine Entmachtung von Bashar al-Assad in Syrien. Genau diese Ziele verfolgt die Türkei schon seit Jahren und hofft nun, sie im Zuge des Kampfes gegen den IS durchsetzen zu können. Im US-Fernsehen sagte Erdoğan, der „Sumpf“ des IS müsse trockengelegt werden. „Ein Teil des Sumpfes liegt in Syrien, der andere im Irak.“

Erdoğan-Berater und Vizepremier Yalcin Akdoğan kritisierte in der Zeitung „Vatan“, der Westen schlage gegen den IS zu, ohne einen Plan zu haben, wie es mit dem Irak und mit Syrien weitergehen soll. Für die Türkei ist nach wie vor die Assad-Regierung das Hauptproblem in der Region, nicht der IS. Ankara fordert seit Langem vergeblich ein Eingreifen der Staatengemeinschaft, um den syrischen Präsidenten zu stürzen. Ohne einen Machtwechsel in Damaskus könne der IS nicht zerschlagen werden, sagte Außenminister Mevlüt Cavusoğlu.

Misstrauen gegen Ankara

Ankaras Haltung dürfte das Misstrauen im Westen und in der Region gegenüber der Türkei weiter schüren. Kritiker innerhalb und außerhalb der Türkei werfen Ankara vor, extremistische Gruppen in Syrien wie den IS lang toleriert zu haben, weil es sich eine rasche Entmachtung Assads erhofft hat.

Erdoğan weist die Vorwürfe einer Zusammenarbeit mit dem IS zurück. Zugleich kommen aber täglich neue Details ans Tageslicht, die eine Einigung zwischen der türkischen Regierung und dem IS bei der Freilassung der türkischen Geiseln am vergangenen Wochenende andeuten. Nach einem Bericht der Zeitung „Hürriyet“ kamen die Geiseln frei, nachdem eine andere Rebellengruppe im Irak auf türkischen Wunsch 50 gefangene IS-Mitglieder freigelassen hatte. Darunter sei die Familie des hochrangigen IS-Kommandanten Haci Bekir gewesen. Erdoğan hat einen solchen Tauschhandel anklingen lassen.

Der Vormarsch der Jihadisten im Norden Syriens an der Grenze zur Türkei ging unterdessen weiter. Türkische Medien berichteten, die Extremisten hätten die schwarze Flagge des IS in einem Dorf in Sichtweite der türkischen Grenze gehisst. Laut einem Bericht der „Bild“-Zeitung hat der türkische Geheimdienst MIT die Regierung in Ankara wegen der Anwerbeaktivitäten des IS im Land gewarnt. Die türkischen Sicherheitsbehörden, hieß es, hätten den erstarkten IS nicht mehr unter Kontrolle.

Die zentrale Polizeibehörde in Ankara hat nach Presseberichten alle Einheiten im Land zur erhöhten Wachsamkeit aufgerufen, weil IS-Zellen Anschläge planen könnten. Angeblich sollen die Extremisten 30 potenzielle Selbstmordattentäter sowie 22 mit Sprengstoff beladene Lieferwagen in die Türkei geschleust haben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.09.2014)

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