China: Warum Hongkong aufbegehrt

Protesters block the main street to the financial Central district, outside the government headquarters in Hong Kong
Protesters block the main street to the financial Central district, outside the government headquarters in Hong Kong(c) REUTERS (CARLOS BARRIA)
  • Drucken

Die KP hat mit der Absage der Direktwahl die Hongkonger verärgert. Doch der Mittelschicht geht es nicht nur um Demokratie: Sie fürchtet um ihre Existenz.

Dass nun Zehntausende in der sieben Millionen Einwohner zählenden Stadt Hongkong für mehr Demokratie auf die Straße ziehen und sogar bereit sind, mit Occupy Central, der Blockade des Finanzviertels, das Herzstück der Wirtschaftsmetropole lahmzulegen, scheint die kommunistische Führung in Peking zu überraschen. Genau das ist das Problem. Die wahren Gründe, weshalb nicht nur eine kleine oppositionelle Minderheit, sondern die Menschen zu Zehntausenden auf die Straße gehen, hat die chinesische Führung nicht erkannt: Es sind die wirtschaftlichen Nöte.

Seitdem Festlandchinesen fast ohne Beschränkungen Hongkong besuchen und Wohnungen, Geschäftsräume und Häuser erwerben dürfen, platzt die Metropole aus allen Nähten. Die Immobilienpreise sind ins Unermessliche gestiegen. Viele traditionelle Restaurants und Geschäfte können sich nicht mehr halten, weil die Mieten aufgrund der völlig deregulierten Märkte in astronomische Höhe geschossen sind. Deswegen müssen auch immer mehr Hongkonger in die weit entfernten Satellitenviertel ziehen oder gleich auf die andere Seite der Grenze zur Volksrepublik, wo die meisten von ihnen nie hinwollten. Die Industrie ist ebenfalls über die Grenze auf das chinesische Festland abgewandert. Zwar ist Hongkong schon immer eine Einwanderungsstadt gewesen, doch einen solchen Ausverkauf wie derzeit hat die Metropole in ihrer knapp 180-jährigen Geschichte noch nicht erlebt.

Verdrängung aus der eigenen Stadt

Hinzu kommen die vielen Touristen vom Festland. An sämtlichen Wochenenden und Feiertagen ist auf Hongkongs Geschäftsstraßen und in den Einkaufszentren kein Durchkommen mehr. Zu Hunderttausenden überschreiten Chinesen die Grenzen und belagern die Innenstadt. Das kurbelt zwar die Wirtschaft an. Wer jedoch nicht in der Tourismusbranche tätig ist oder in der Finanzwelt lebt, findet kaum ein Auskommen mehr und fühlt sich aus seiner eigenen Stadt verdrängt. Während Hongkongs Superreiche immer reicher werden, schrumpft die Mittelschicht und droht zu verarmen. Die hohe Protestbereitschaft der Hongkonger zeigt, dass viele der Auffassung sind, nicht mehr viel verlieren zu können.

Angeheizt wird der allgemeine Unmut von dem sogenannten Weißen Papier, das Peking im Juli veröffentlicht hat und indirekt den bisherigen Sonderstatus infrage stellt. Nach dem Grundsatz „Ein Land, zwei Systeme“ genoss die ehemalige britische Kronkolonie auch nach der Rückgabe an die Volksrepublik Teilautonomie mit Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Dass die chinesische Führung nun ihre Zusage zurücknimmt, den Hongkonger Regierungschef 2017 doch nicht direkt und frei wählen zu dürfen, nährt die Angst in der Bevölkerung, dass Hongkong seine Sonderrechte vollends verlieren wird. Auch unter britischer Kolonialherrschaft war es den Bürgern der südchinesischen Wirtschaftsmetropole nicht möglich, ihr Stadtoberhaupt frei zu wählen.

Dass Peking nicht allzu viel von Demokratierechten hält – daraus macht die Führung kein Hehl. Doch dass die offiziell sich als kommunistisch bezeichnende Führung auch die soziale Misere nicht erkannt hat, lässt zweifeln, inwiefern die Spitzenkader wirklich in Marx'scher Theorie geschult sind.

Stattdessen hat Peking die Finanzmetropole als Versuchslabor des Kapitalismus missbraucht, einiges aber am Vorgehen ihres Vorgängers nicht verstanden. So kapitalistisch die Briten Hongkong geführt und mit Steuerfreiheit das Geld aus aller Welt in die südchinesische Hafenstadt gelockt haben – Hongkong hatte zugleich eines der umfassendsten sozialen Wohnungsbauprogramme. Das hat den sozialen Frieden gesichert.

Hat Hongkongs Entwicklung auch Signalwirkung für das restliche China? Ja, denn im Rest des Landes ist die KP-Führung auf dem sozialen Auge ebenso blind.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.09.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Anti-Occupy Central protesters wearing masks approach barricades, set up by pro-democracy protesters, before being stopped by the police in Hong Kong
Außenpolitik

Hongkong: Vermummte gehen auf Demonstranten los

"Sie zerstören Medikamente und Vorratslager", klagt eine Aktivistin. Haben die Angreifer Beziehungen zu den Triaden genannten Unterweltbanden?
Außenpolitik

Hongkong: Protestaufruf nach Absage der Gespräche

In der Nacht auf Freitag ist es zu keinen weiteren Studenten-Protesten in Hongkong gekommen. Allerdings sei eine Demonstration für Freitagabend geplant.
Hongkongs Regierungschef Leung Chun-ying (li.) soll zurücktreten, fordern die Demonstranten. Rechts im Bild Leungs Vorgänger Tung Chee-hwa.
Außenpolitik

Regierung in Hongkong sagt Dialog mit Studenten ab

Die Proteste für mehr Demokratie könnten dadurch wieder an Stärke zulegen. Hongkongs Regierungschef muss nun auch mit Korruptionsvorwürfen kämpfen.
Pro-democracy protester sleeps on a bed as hundreds block Nathan Road at Hong Kong´s Mongkok shopping district
Außenpolitik

Wie Hongkong die KP schwächt

Das Ende der Hongkonger Proteste ist zwar ein Etappensieg für Peking. Doch in den Städten und in Taiwan haben sie ihre Spuren hinterlassen.
An umbrella and a security helmet is seen on a main road at the Mong Kok shopping district in Hong Kong
Außenpolitik

Hongkong: Studenten und Regierung einig über Verhandlungen

Die Gespräche sollen "so schnell wie möglich" beginnen, hieß es am Montag. Zuvor hatten sich chinesische Intellektuelle hinter die Pro-Demokratie-Bewegung gestellt.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.