Bulgarien: Zweite Chance für Bojko Borissow

Bojko Borissow
Bojko Borissow(c) EPA (JULIEN WARNAND)
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Bei der Parlamentswahl am Sonntag wird ein Sieg des unberechenbaren Ex-Premiers erwartet. Die nächste Regierung steht nach eineinhalb Jahren Protesten vor Mammutaufgaben.

Sofia. „Es ist Zeit“, steht in großen Lettern auf den blauen Flugzetteln, die Wahlhelfer vor der Sweta-Nedelja-Kirche im Zentrum Sofias verteilen. Zeit für eine Rückkehr von Bojko Borissow sei es, steht auf der Wahlwerbung geschrieben, auf der der konservative Politiker ein „stabiles Bulgarien“ verspricht und in bekannter Pose – breitschultrig, strenger Blick, erhobener Zeigefinger – abgebildet ist.

Bei der Wahl eines neuen bulgarischen Parlaments, zu der am Sonntag knapp sieben Millionen Bürger aufgerufen sind, wird ein neuerlicher Machtwechsel erwartet. Nur 14 Monate währte die Regierung von Sozialisten und der Partei der türkischen Minderheit Bewegung für Rechte und Freiheiten (DPS), die keinen Schritt tun konnte ohne die laute Begleitmusik protestierender Studenten und liberaler Bürger. Nun erwarten Experten also eine Wiederkehr des früheren Regierungschefs Bojko Borissow. In Meinungsumfragen erreicht seine Partei Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens (Gerb) 36 Prozent der Wählerstimmen. Die Sozialisten kommen mit knapp 20 Prozent abgeschlagen auf den zweiten Platz. Fraglich ist freilich, ob Borissows Gerb tatsächlich die ersehnte Stabilität für das angeschlagene Balkanland bringen kann. Einmal ist sie schon gescheitert.

Borissow war bereits von 2009 bis 2013 im Amt und trat nach dem Ausbruch von Sozialprotesten gegen die hohen Strompreise entnervt von seinem Posten zurück. Öffentlichkeitswirksam bekämpfte er in seiner Regierungszeit Bulgariens Staatsschulden, Kriminalität und Korruption. Dabei handelte er sich nicht nur Kritik wegen seines Kuschelkurses mit Boulevardmedien ein; der frühere Leibwächter des letzten kommunistischen Staatschefs Todor Schiwkow war auch wegen seines erratischen Regierungsstils, seiner machohaften Allüren und diktatorischen Methoden umstritten. Ob er sich im zweiten Anlauf einen konzilianteren Stil zulegen kann, gilt als fraglich.

Doch Reformbereitschaft und Zusammenarbeit über Parteigrenzen hinweg sind das, was Bulgarien nun dringend braucht. Gewinnt Gerb die Wahlen, muss Borissow die Regierungsgeschäfte wohl mit einem Koalitionspartner führen. Von den zur Verfügung stehenden Kandidaten macht der konservative Reformblock den zuverlässigsten Eindruck. In diesem Zusammenschluss mehrerer Rechtsparteien könnte er einen Partner für die dringend notwendigen Reformen finden, allen voran in der Wirtschaft und im Gesundheitssystem.

Populistische Neugründung

Der Politikwissenschaftler Antoni Galabow sieht in der Zusammenarbeit der beiden Kräfte gar den „einzig möglichen Ausweg aus der tiefen politischen Krise“. Die populistische Neugründung Bulgarien ohne Zensur des früheren TV-Moderators Nikolaj Barekow, hinter dem der Medienmogul Deljan Peewski als Finanzier vermutet wird, könnte freilich den etablierten Parteien Stimmen abzweigen.

Eine Entscheidung muss die künftige Regierung auch in puncto der umstrittenen russischen Gaspipeline South Stream treffen. Wollte die von den Sozialisten geführte Regierung das Projekt um jeden Preis realisieren, hat Borissow angekündigt, die Fernleitung nur mit Zustimmung der EU verlegen lassen zu wollen.

ZUR PERSON


Bojko Borissow (55)
war von 2009 bis 2013 Premier Bulgariens. Der Ex-Leibwächter Todor Schiwkows und Karatekämpfer profilierte sich in den Nullerjahren zunächst im Innenministerium als Kämpfer gegen organisierte Kriminalität, bevor er die Partei Gerb gründete. [ Reuters]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.10.2014)

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