Erdoğans Schicksalsstadt Kobane

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Die Schlacht zwischen IS und Kurden um die grenznahe syrische Stadt Kobane wird für die Türkei immer mehr zur Gefahr. Tarnen sich IS-Kämpfer als Flüchtlinge?

Ankara. Die Schlacht um die syrische Stadt Kobane an der türkischen Grenze wird für die Türkei immer mehr zur Gefahr und zum politischen Problem: Am Sonntag schlug eine wohl von der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) bei Kobane abgefeuerte Granate zwei Kilometer tief auf türkischem Gebiet in ein Wohnhaus ein und verletzte mehrere Menschen. An der Grenze stationierte türkische Artillerie schoss vorerst nicht zurück.

Der IS gelang es, einen taktisch wichtigen Hügel südlich von Kobane von kurdischen Truppen teilweise zu erobern. Weitere Vorstöße wurden von arabischen und US-Flugzeugen zerschlagen. Zahlreiche Panzer sollen zerstört worden sein. Die Jihadisten nahmen Kobane dennoch weiter in die Mangel. Seit dem Beginn des IS-Angriffes auf Kobane, ja seit der Eroberung von 300 kurdischen Dörfern in Nordsyrien in den vergangenen Wochen durch IS, sind mehrmals Geschosse in der Türkei eingeschlagen.

Unterstützung bekommt der IS inzwischen auch von den Taliban-Milizen in Pakistan: Sie wollen Kämpfer in den Irak und nach Syrien schicken. Der IS sei „zum Dienst am Islam gegründet worden“, hieß es am Wochenende in einem Pamphlet. Für Aufsehen sorgte indes ein Bericht der „Bild am Sonntag“: Demnach plane der IS, Terroristen nach Mitteleuropa zu schleusen – als Flüchtlinge getarnt. Experten warnen aber davor, Flüchtlinge als potenzielle Attentäter zu brandmarken: Der IS brauche diese Taktik nicht, um Anschläge in Europa zu verüben. Gefährlicher seien IS-Kämpfer, die aus Europa in den Nahen Osten gezogen seien und unbehelligt zurückkehren könnten.

Den österreichischen Behörden sei dieses „Einsicker-Szenario“ indes bekannt, sagte Innenministeriums-Sprecher Karl-Heinz Grundböck am Sonntag: Daher sei eine genaue Prüfung von Asylanträgen so wichtig.

Kurdisch-islamistisches Dilemma

Für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan stellt die Lage an der Grenze ein Dilemma dar: Einerseits hat er keine Sympathie für die in Kobane herrschende Kurdengruppe PYD, einen Ableger der türkisch-kurdischen PKK-Rebellen. Am Wochenende bekräftigte er, er sehe keinen Unterschied zwischen IS und PKK; beide müssten bekämpft werden. Andererseits fürchtet er katastrophale Folgen für die Innenpolitik, sollte Kobane an den IS fallen. Die PKK droht für den Fall mit dem Ende der Friedensgespräche und einer Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes. Auf der türkischen Seite der Grenze liefern sich Polizisten und PKK-Anhänger immer wieder Straßenschlachten.

Einen Ausweg aus dem Dilemma könnten die alliierten Luftangriffe bieten. Gleichzeitig bemüht sich Ankara trotz des Misstrauens gegenüber der PYD um einen Draht zu den syrischen Kurden: PYD-Chef Salih Müslim sprach jüngst in Ankara mit Geheimdienstleuten, dabei soll es um Hilfe für Kobane gegangen sein. Die Verteidiger der Stadt fordern vor allem Waffen. Kurdenvertreter verlangen zudem, die türkischen Behörden sollten junge Kurden nicht hindern, über die Grenze nach Kobane zu gehen, um gegen den IS zu kämpfen. Kurdenpolitikerin Selma Irmak erklärte, sie sehe Anzeichen für eine geänderte Haltung Ankaras der PYD gegenüber. Bisher werfen die Kurden der Türkei vor, mit dem IS zu paktieren, um die Kurdenautonomie in Nordsyrien zerschlagen zu lassen.

Die vertrackten Frontverläufe zeigen die Schwierigkeiten im Kampf gegen den IS, wo Freund und Feind nicht immer scharf zu trennen sind. Erdoğan lieferte sich am Wochenende sogar ein TV-Duell mit US-Vizepräsident Joe Biden, obwohl die USA der wichtigste Partner der Türkei sind. Biden sagte, Erdoğan habe Gruppen wie den IS lange unterstützt, mittlerweile aber den Fehler eingesehen. Erdoğan wies Bidens Äußerung zurück; später entschuldigte sich Biden.

Neuer US-Träger im Anmarsch

Die USA verlegen derweil eine zweite Flugzeugträgerkampfgruppe um die USS „Carl Vinson“ in den Persischen Golf. Sie soll jene der „George H. W. Bush“ ablösen, die seit Juni gegen den IS im Einsatz steht. (güs, red.)

Mehr dazu: www.diepresse.com/vinson

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.10.2014)

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