Putins Rückzugsbefehl gibt Rätsel auf

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UKRAINE CRISIS(c) APA/EPA/ROMAN PILIPEY (ROMAN PILIPEY)
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Russlands Präsident beordert 17.000 Soldaten aus der Grenzregion zurück: Ein taktisches Manöver – oder gar das Eingeständnis einer Niederlage?

Moskau/Kiew. Ein typisch politisch-taktisches Manöver à la Putin oder doch ein Einknicken des Kreml-Chefs angesichts der zunehmend beißenden internationalen Sanktionen für die russische Wirtschaft? Die gestrige Befehl des russischen Präsidenten an rund 17.000 Soldaten im Grenzgebiet zur Ostukraine, den Rückzug anzutreten, wurde unterschiedlich interpretiert.

Die Regierung in Kiew hatte die Massierung russischer Truppen an der ukrainischen Ostgrenze stets als Provokation kritisiert. Die US-Regierung hat erst Mitte vergangener Woche mit einer Verschärfung der Sanktionen gedroht, sollte Russland seine Einmischung in der Ostukraine nicht endlich beenden.

Der frühere russische Vizepremier und Putin-Kritiker, Boris Nemzow, sieht mit dem Rückzugsbefehl das Ende des „Neurussland-Projekts“ in der Ostukraine gekommen. Auch der ukrainische Politologe Taras Beresowez kommentierte, Putin habe „verloren“ und überlasse „Neurussland“ nun sich selbst. Möglicherweise wolle Putin mit seinem neuesten politischen Manöver aber auch nur für eine Klimaverbesserung sorgen, ehe er kommende Woche am europäisch-asiatischen Gipfeltreffen (Asem) in Mailand teilnimmt, meinten andere Kommentatoren. Dort soll Putin auch erneut mit dem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko zusammentreffen.

Am Wochenende gab das deutsche Landwirtschaftsministerium bekannt, dass die russischen Einfuhrverbote für westliche Lebensmittel für die deutschen Bauern kaum Auswirkungen hätten. Nur 0,9 Prozent der deutschen Lebensmittelproduktion sei von den russischen Sanktionen betroffen.

Memorial im Würgegriff

Der ältesten und größten russischen Menschenrechtsorganisation Memorial droht die Zerschlagung durch die Regierung. Laut Angaben von Memorial-Direktor Alexander Scherkassow zweifelt das Justizministerium die Rechtmäßigkeit der Organisationsstruktur von Memorial an. Wenn die Behörden den Dachverband verbieten sollten, drohen die einzelnen Unterorganisationen der Menschenrechtsvereinigung in eine rechtliche Grauzone gedrängt zu werden. „Dieses Vorgehen ist absurd“, so Scherkassow.

Schon im Mai wollte die russische Justiz Memorial verpflichten, sich ins Register „ausländischer Agenten“ eintragen zu lassen, weil die Organisation finanzielle Unterstützung aus dem Ausland erhält. Das bestreitet Memorial auch nicht, weist aber gleichzeitig den Vorwurf vehement zurück, vom Ausland aus politisch gesteuert zu werden.

Memorial hat sich um die Dokumentation der Verbrechen aus der Stalin-Zeit verdient gemacht – Vergangenheitsbewältigung, um die sich der russische Staat unter Putin so gut wie gar nicht kümmert. Werde Memorial tatsächlich zerschlagen, wäre dies „ein schwerer Schlag für Russlands Image“, so der offizielle russische Menschenrechtsbeauftragte Michail Fedotow. (dpa, afp, Reuters)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.10.2014)

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