Ägypten im libyschen Bürgerkrieg

(c) REUTERS (ESAM OMRAN AL-FETORI)
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In Bengasi toben die heftigsten Kämpfe seit dem Sturz von Diktator Muammar al-Gaddafi. Kairo will der wachsenden Anarchie im westlichen Nachbarland nicht länger zusehen.

Kairo. Rauchwolken liegen über der Stadt, Bewaffnete liefern sich heftige Gefechte in den Wohnstraßen, Hubschrauber kreisen über den Dächern, bisweilen röhren Kampfjets am Himmel. Seit Mitte vergangener Woche toben in Bengasi die heftigsten Kämpfe seit dem Sturz von Diktator Muammar al-Gaddafi anno 2011. Mindestens 60Menschen sind bereits gestorben, zwei Selbstmordattentate forderten weitere Opfer.

Das gesamte öffentliche Leben in der einstigen „Heldenstadt“ des Arabischen Frühlings in Libyen ist zum Erliegen gekommen, seit die international anerkannte Regierung unter Ministerpräsident Abdullah al-Thinni mit Gewalt versucht, die Macht der islamistischen Milizen zu brechen. Die USA und mehrere europäische Staaten, darunter Deutschland, appellierten an die Kontrahenten, die blutigen Kämpfe sofort zu beenden. Es gebe keine militärische Lösung für diese Krise, hieß es in einem gemeinsamen Memorandum.

Angriffe ägyptischer Kampfjets

Treibende Kraft im Kampf gegen die Milizen von Ansar al-Sharia ist Ex-General Khalifa Haftar, der bislang auf eigene Faust gehandelt und im Frühjahr sogar einen Staatsstreich versucht hat. Diesmal jedoch agiert der 71-Jährige erstmals im Einklang mit der offiziellen politischen Führung, die sich in den Osten Libyens, nach Tobruk und al-Baida, ins Quasi-Exil geflüchtet hat. „Die Operation steht unter dem Kommando der regulären Armee sowie unter der Kontrolle von Parlament und Regierung“, erklärte Premierminister al-Thinni, der kurz zuvor von einem Besuch in Kairo zurückgekehrt war.

Vor allem Ägypten will der wachsenden Anarchie im Nachbarland nicht länger zusehen. Bewohner von Bengasi berichteten, ägyptische Kampfjets seien an der Militäroffensive beteiligt. Andere Augenzeugen wollen ägyptische Seestreitkräfte vor der Küste ausgemacht haben. „Dies ist eine Schlacht für Ägypten, nicht für Libyen“, zitierte AP einen ungenannten Informanten aus Kairo. „Ägypten war das erste Land der Region, das vor dem Terrorismus gewarnt hat. Und Ägypten ist das erste Land, das ihn bekämpft.“

Der libysche Parlamentsabgeordnete Tareq al-Jorushi, dessen Vater Luftwaffenchef ist, hat erklärt, die ägyptischen Jets seien „ausgeliehen“ und würden von libyschen Piloten geflogen. Einen ähnlichen Präzedenzfall hat es bereits im August dieses Jahres gegeben, als mehrere F-16 Fighting Falcons aus den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) Ziele in Tripolis angegriffen haben, nachdem sie auf ägyptischen Militärbasen zwischengelandet und aufgetankt worden sind.

Die Vereinigten Staaten, die in der Mittelmeerregion über zahlreiche Horchposten verfügen, hüllen sich bisher in Schweigen. Umso heftiger dementierten in Kairo wie aus einem Mund Präsident, Regierungschef sowie Außenminister. Ägypten möchte auf keinen Fall als aktive Kriegspartei in Erscheinung treten, auch wenn der starke Mann am Nil, Ex-Feldmarschall Abdel Fatah al-Sisi, es am liebsten sähe, wenn Generalskollege Haftar den gesamte Osten Libyens unter seine Kontrolle brächte.

Wüstengebiete gesperrt

Aus Sicht Ägyptens braut sich an der über 1000 Kilometer langen Grenze zu Libyen immer mehr Unheil zusammen: Radikale Gotteskrieger könnten das Staatsgebiet bald von zwei Fronten aus – dem Sinai und Libyen – in die Zange nehmen. Im Sommer attackierten Jihadisten bereits einen Militärposten nahe der Oase Farafra und töteten 21Soldaten. Zudem werden aus Libyen nach wie vor große Mengen an Waffen nach Ägypten geschmuggelt. Anfang Oktober sperrte Kairo nun die beliebten Wüstengebiete in Richtung Libyen für alle Touristen, ein beispielloser Schritt, der zeigt, wie prekär die Führung die Lage mittlerweile einschätzt.

Voraussichtlich ab kommender Woche sollen Tagesausflüge wieder erlaubt werden, Übernachtungen in der Wüste jedoch bleiben bis auf Weiteres strikt verboten. Denn die ägyptischen Sicherheitskräfte fürchten, radikale Islamisten könnten campierende Besucher in der Wüste kidnappen. Entführungen westlicher Ausländer im Saharagürtel sind für radikale Gruppen in den vergangenen Jahren zu einem immer lukrativeren Geschäft geworden. Das US-Finanzministerium schätzt, dass dadurch seit 2004 mindestens 140Millionen Dollar an Lösegeld in ihre Kriegskassen gespült worden sind.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2014)

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