Russland: Der Machtkampf im Schatten

(c) Reuters (Grigory Dukor)
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Der neue Präsident Medwedjew liegt in der Popularität weiter hinter seinem Mentor Putin. Die Clans beider Politiker ringen um Pfründe und Einfluss im Staat.

MOSKAU. Aus dem Schatten seines Ziehvaters zu treten ist generell nicht einfach. Wenn der Ziehvater Wladimir Putin heißt, ist's gleich doppelt schwer. Niemand weiß über die Mühen der eigenen Profilierung derzeit mehr Bescheid als Dmitrij Medwedjew. Am 2. März ist der 42-jährige Jurist zum russischen Präsidenten gewählt, am 7.Mai vereidigt worden. Zwei Monate später ist es noch immer der nunmehrige Premier Putin, auf den das Volk baut. Zwischen 60 Prozent und 70 Prozent vertrauen ihm laut Meinungsforschungsinstituten. Medwedjew kommt nur auf seine 40 bis 45 Prozent vom Dezember 2007, als Putin ihn zum Wunschnachfolger ernannt hatte.

Zwei Monate sind zu kurz, um ein Popularitätskaliber wie Putin zu überrunden, sagen die einen. So lange dieser die Finger im Machtspiel hat, könne das gar nicht gelingen, werfen andere ein. In einem historischen Experiment sind Medwedjew und Putin übereingekommen, das Land im Tandem zu führen. An der Vorsicht der Statements und an der wohltemperierten öffentlichen Präsenz ist abzulesen, wie sehr Medwedjews Kreml und Putins Weißes Haus noch mit dem Austarieren der Macht beschäftigt sind. Beobachter sind sich einig, dass weniger ein Konflikt zwischen den langjährigen Weggefährten droht als vielmehr einer zwischen den wenig sichtbaren Machtapparaten hinter ihnen.

In der sichtbaren Öffentlichkeit wird indes jede Silbe Medwedjews analysiert und gerätselt, ob sich mit dem Generationswechsel nicht doch ein offenerer Geist abzeichnet. „Noch ist er nicht greifbar“, meint Marianna Maximovskaya, couragierte Anchorwoman beim TV-Sender RenTV: „Aber irgendwo liegt er in der Luft. Immerhin wird viel von ihm geredet.“ Wenigstens nach außen hat sich Medwedjew das Etikett des wirtschaftsliberalen Demokraten umgehängt und vergessen gemacht, dass er als enger Vertrauter Putins Politik jahrelang mittrug.

Yoga statt Kampfsport

Dazu kommt ein neuer Stil: casual in Lederjacke, Jeans und Strickpullover. Westliche Popmusik. Statt Putins Kampfsport und ein Glas Kefir um Mitternacht Yoga und westliche Medienlektüre via Internet am Morgen. Und in der Diktion bisher ohne Tiefschläge, mit denen Putin im Volk punktete.

Auch der Westen klammert sich an die Imago des Neuen. Sie bedanke sich nicht nur für die physische, sondern auch für die intellektuelle Gastfreundschaft, meinte die EU-Führung auf dem Gipfel mit Medwedjew letzte Woche in Sibirien. Dabei sind die Konturen der Außenpolitik noch nicht so klar abzulesen. Von einem „Cocktail Internacional“ spricht der Publizist Fjodor Lukjanow: Das Fehlen einer klaren Position spiegle sich auch in Medwedjews Aussagen. Westliche liberale Rhetorik gemischt mit scharfen Attacken auf die USA, dazu die Kontinuität des Putinkurses und die Betonung der multipolaren Weltordnung. Medwedjews stark wirtschaftsliberaler Auftritt liegt bereits Monate zurück; im Juni legte Putins Erster Vizepremier Igor Schuwalow, der aus dem Lager Medwedjews ist, nach und sprach unter dem Beifall westlicher Unternehmer von der Zurückdrängung des Staatseinflusses in der Wirtschaft.

Putins Rüge folgte auf den Fuß. Und eben erst wurden 480 Firmen einer der staatlichen Großgesellschaften und einem Geheimdienstkollegen Putins unterstellt. Und Putin markiert sein Terrain: Auch als Premier wolle er seine Live-TV-Fragestunden für das Volk abhalten, sagte er.

„Das Fernsehen bringt ihn um“

Medwedjew ist nicht so telegen wie Putin, meint Politologe Dmitrij Oreschkin. „Das TV bringt den neuen Präsidenten förmlich um“, meint der Moderator Vitali Tretjakow: „Da zeigen sie ihn mit Kolchosarbeiterinnen oder Schülern. Er weiß nicht, was mit ihnen tun, einmal küsst er sie, einmal nicht.“

Hinter den Kulissen führe Medwedjew einen „stillen Kampf“ gegen die Clans im Kreml und Anhänger eines harten Kurses, konstatiert Igor Jurgens, Leiter eines Beratungsinstituts für Medwedjew. „Wenn Medwedjew in diesem Kampf keine Koalition gründet, wird er wie einige frühere Reformer verlieren.“

LEXIKON

Dmitri Medwedjew ist seit 7. Mai Russlands Präsident; sein Vorgänger, Wladimir Putin, wurde Premier. Der Präsident bestimmt als zentrales Organ Innen-, Außen- und und Wirtschaftspolitik, kann das Parlament auflösen. Der unter- geordnete Premier koordiniert vor allem Verwaltung und Ministerien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.07.2008)

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