Indien: Angst vor neuem Pogrom

(c) Reuters (AMIT DAVE)
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Religiös aufgeheizte Proteste von Hindu-Nationalisten bringen die geschwächte indische Regierung weiter in Bedrängnis.

Delhi. Karol Bagh, ein Stadtteil im Westen der indischen Hauptstadt Neu Delhi. Die meisten Geschäfte des ansonsten lebhaft-chaotischen Basarviertels haben heute geschlossen. Die hindu-nationalistische „Indische Volkspartei“ (BJP – Bharatiya Janata Party) und der fanatische „Welthindurat“ (VHP – Vishva Hindu Parishad) haben zu einem „Bandh“, einem landesweiten Protest-Streik, aufgerufen. Es herrscht gespannte Ruhe. Den Hindu-Nationalisten geht es bei ihrem Protest um wenige Hektar Land in Kaschmir und die Rücknahme einer Entscheidung der dortigen Landesregierung. Diese hatte vor mehr als einer Woche angekündigt, einer religiösen Stiftung, die eine Hindu-Pilgerstätte verwaltet, Land für den Bau von Unterkünften zur Verfügung zu stellen. Doch dazu kam es nicht.

Zehntausende von Menschen gingen in Indiens einzigem Bundesstaat mit einer muslimischen Mehrheit auf die Straßen und protestierten gegen den „Ausverkauf“ ihres Landes. Die Landvergabe diene dazu, Kaschmir schleichend mit Hindus zu besiedeln, hieß es. Schnell mischten sich wieder Forderungen nach der Unabhängigkeit von Indien in die Demonstrationen. Die Bilder erinnerten stark an die Proteste 1989, denen ein Jahrzehnt der Gewalt folgte.

Polizei verhängt Ausgangssperre

Daher ruderte die Landesregierung Ende vergangener Woche eilig zurück und annullierte die Landvergabe. Doch damit rief sie die Hindu-Nationalisten auf den Plan. In Jammu, dem Teil des Bundesstaates Jammu und Kaschmir mit einer Hindu-Mehrheit, legen sie seit Tagen das öffentliche Leben lahm. In Agra – in aller Welt als Standort des Taj Mahal bekannt – blockierten sie die Gleise und stoppten mehrere Züge. In Indore in Zentralindien starben zwei Menschen bei Zusammenstößen mit der Polizei, die Behörden verhängten eine Ausgangssperre.

Die Angst vor Gewalt wirkt sich besonders deutlich auf das Zentrum der muslimischen Bevölkerung in Delhi aus: Auf dem Chandi Chowk, der Hauptstraße und Lebensader der historischen Altstadt, sind nur wenige Menschen zu sehen. Die Rollläden sämtlicher Geschäfte sind heruntergelassen. Polizei patrouilliert in Jeeps durch die Straßen, an jeder Ecke stehen Beamte mit Funkgeräten.

Regierung in der Krise

Denn bereits mehrfach haben vergleichbare Proteste Gewaltspiralen in Gang gesetzt, an deren Ende Unruhen mit Hunderten von Toten standen. 1992 stürmten Anhänger von BJP und VHP im nordindischen Ayodyha eine Moschee und zerstörten sie. Die anschließenden Ausschreitungen im gesamten Land kosteten tausenden Menschen das Leben. Zehn Jahre später machten Anhänger des VHP im Bundesstaat Gujarat Jagd auf Muslime, führten ethnische Säuberungen durch und töteten tausende Menschen.

Opposition wittert Morgenluft

Ein baldiges Ende des Landstreits ist nicht in Sicht. Denn die BJP nutzt häufig religiöse Themen, um Wähler zu mobilisieren.

Die Opposition wittert Morgenluft: Protest gegen die Regierung regt sich wegen der Preisexplosion bei Lebensmitteln. Zudem zeichnet sich ein Bruch der Mitte-Links-Zentralregierung in Delhi wegen eines von Premier Manmohan Singh (Kongresspartei) betriebenen Atomvertrags mit den USA ab: Die Kommunisten – Koalitionspartner in der Regierung – lehnen den Deal ab, es könnte schon in wenigen Wochen zu vorgezogenen Neuwahlen kommen. Die religiös aufgeheizten Proteste auf Indiens Straßen könnten die Vorboten des Wahlkampfes sein.

AUF EINEN BLICK

Streik. Die Regierung von Jammu-Kaschmir wollte Hindu-Priestern in der mehrheitlich muslimischen Provinz ursprünglich Land übertragen. Nach Protesten von Muslimen wurde diese Entscheidung zurückgenommen, was wiederum zu landesweiten Demonstrationen und Streiks von Hindu-Nationalisten führte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.07.2008)

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