"Rache für das Radar?": Russland drosselt Tschechien Erdöl

(c) AP (Bela Szandelszky)
  • Drucken

Die für Juli vorhergesehene Menge Rohöl wird von 500.000 auf 300.000 Tonnen gekürzt. Die USA wollen eine Radaranlage auf tschechischem Boden bauen.

»Das ist ein erhobener Finger.«

Jan Prochazka, Analyst der Firma "Cyrrus"

Tschechien ist wegen einer plötzlichen und drastischen Senkung der vertraglich vereinbarten Lieferungen von Erdöl durch die Pipeline "Druschba" ("Freundschaft") alarmiert. Tschechische Medien berichteten am Samstag, die russische Seite habe ohne jegliche offizielle Vorwarnung an Prag mitgeteilt, dass die für Juli vorgesehene Menge des strategischen Rohstoffs von 500.000 Tonnen auf 300.000 Tonnen gekürzt werde. Schon in der vergangenen Woche sei ein Sinken der Liefermengen erkennbar gewesen, hieß es.


In Tschechien gab es Spekulationen, wonach es sich um eine "Vergeltungsmaßnahme" Russlands für die Pläne Prags und Washingtons handeln könnte, auf tschechischem Territorium eine Radaranlage - Bestandteil des geplanten US-Raketenabwehrsystems in Zentraleuropa - handeln könnte. Anfang dieser Woche hatte US-Außenministerin Condoleezza Rice mit ihrem tschechischen Amtskollegen Karl Schwarzenberg einen entsprechenden Vertrag in Prag unterzeichnet.

"Ich denke, das ist eine Form politischer Druckausübung. Das ist ein erhobener Finger", meinte der Analyst der Firma "Cyrrus", Jan Prochazka, gegenüber der Tageszeitung "Lidove noviny". Das Blatt "Pravo" betitelte einen Bericht mit den Worten: "Russland drosselt uns das Erdöl. Ist das eine Rache für das Radar?"

"Könnte sich um technisches Problem handeln"

Die russische Seite gab für die Drosselung zunächst keine Begründung an. Das tschechische Außenministerium wollte keine voreiligen Kommentare abgeben. "Wir wollen darüber nicht spekulieren. Es könnte sich um ein technisches Problem handeln. Wir kommunizieren mit Russland und warten, was sie uns sagen", erklärte Außenamtssprecherin Zuzana Opletalova. Eventuelle absichtliche Reduktionen der Erdöllieferungen hätten nach ihrer Auffassung keinen Sinn, weil Tschechien seit 1996 auch an das westliche Pipelinesystem angebunden sei.

Auch das Prager Industrie- und Handelsministerium will die Situation nicht dramatisieren. Die Erdölvorräte Tschechiens reichten für 95 Tage, betonte Minister Marin Riman. Außerdem sei es gelungen, die fehlende Menge des Rohstoffes aus Russland durch Lieferungen aus anderen Quellen - durch die aus dem deutschen Ingolstadt führende Pipeline (IKL) - zu ersetzen. Das Ministerium wies auch darauf hin, dass es im Falle des russischen Erdgases zu keinen Kürzungen der Lieferungen gekommen sei.

Pipeline "Druschba"

Der tschechische petrochemische Konzern Unipetrol, wo das Erdöl verarbeitet wird, spricht von "technisch-organisatorischen Problemen" in Russland. Was darunter zu verstehen ist, präzisierte der Konzern nicht. "Unsere Produktion wird dadurch nicht gestört", versicherte die Unipetrol-Sprecherin Blanka Ruzickova. Durch die Pipeline "Druschba" werden jährlich etwa fünf Millionen Tonnen Erdöl nach Tschechien importiert. Durch die Pipeline IKL sind es fast drei Millionen Tonnen jährlich.

(Ag.)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.