Der vergessene Krieg im Südsudan

(c) REUTERS (GORAN TOMASEVIC)
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Im Südsudan, dem jüngsten Staat der Welt, schlachten sich Dinka und Nuer seit fast einem Jahr gegenseitig ab. Und nun droht eine Hungerkatastrophe. Mit Ansage.

Juba/Wien. Und dann überrannten die Nuer-Rebellen die Stadt Bor im Zentrum des Südsudans. Und die Familie von Betram Kuol floh. Nur die Tante wollte nicht weg. Vier Tage später fanden sie ihre Leiche. Die Frau war ohne Gewalteinwirkung gestorben, so erzählt es Kuol. „Einfach tot.“ Zuerst kriegs-, und dann lebensmüde.

Der groß gewachsene Caritas-Mitarbeiter vom Volk der Dinka ist Agrarökonom. Kuol hilft seinen Landsleuten, ihre Felder nachhaltig zu bestellen und lehrt sie ihre Rechte. Doch nun ist auch seine Familie Opfer dieses Kriegs, der im jüngsten Staat der Welt wütet und 1,7 Mio. der 11,3 Mio. Südsudanesen zu Flüchtlingen gemacht hat – die allermeisten davon, 1,3 Millionen, innerhalb der Staatsgrenzen. Wenn die Dinka eine Stadt besetzen, flüchten sich die Nuer in eines der Flüchtlingslager der Vereinten Nationen – oder in den Busch. Und wenn die Nuer-Truppen auf dem Vormarsch sind, verschanzen sich dort Dinka. Und so wogt der Krieg hin und her. Und mit ihm der Flüchtlingsstrom.

Seit Dezember 2013 kämpfen die Truppen von Präsident Salva Kiir, einem Dinka, gegen die Rebellenmiliz des entlassenen Vizepräsidenten Riek Machar vom zweitgrößten Volk Nuer. Ein Krieg der Ethnien, so scheint es. „Aber dieser Eindruck ist falsch“, sagt Südsudan-Experte Amir Idris von der US-Universität Fordham. „Man muss unterscheiden zwischen der ethnischen Gewalt und der politischen Krise, die dazu geführt hat.“

Diese Krise führt ins Herz der Sudanesischen Volksbefreiungsbewegung und -armee (SPLM), die jahrzehntelang um die Loslösung vom muslimischen Norden kämpfte. Und sich in den Neunzigern in internen Grabenkämpfen erschöpfte. Schon damals führte Machar die Aufmüpfigen in den SPLM-Reihen an. Doch der Kampf für einen eigenen Staat einte die SPLM wieder. Ein Pakt auf Zeit.

Zwei Jahre nach der im Juli 2011 erlangten Unabhängigkeit wurde wieder gerangelt – um die Aufteilung der Staatsmacht, die nun in den Händen der SPLM lag. Der Bruch zwischen Kiir und Machar verlief dabei nicht entlang ethnischer Linien: Dinka und Nuer gab es in beiden politischen Lagern. Anders in der Armee: Die SPLM-Soldaten, die sich auf Machars Seite schlugen, waren Nuer, der verbliebene Rest Dinka. Nach dem ersten Bericht über ein Massaker an Nuern setzte sich die Spirale gegenseitiger Vergeltungsschläge in Gang.

Seit Jänner ringen sie nun in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba um einen Frieden, der auch die Interessen der Weltmächte China und USA berührt. Die Chinesen sind im Südsudan dick im Ölgeschäft, die Amerikaner pumpten Millionen in den Staatsaufbau.

Am Sonntag startete eine neue Verhandlungsrunde. Diskutiert wird dabei auch eine starke Föderalisierung des Landes. Eduardo Kussala, Bischof der südsudanesischen Diözese Tombura-Yambio, nimmt als kirchlicher Vertreter an den Gesprächen teil. „Die Organisation des neuen Staats war eine Enttäuschung“, sagt der 50-Jährige, der auf Einladung der Päpstlichen Missionswerke in Wien war. An einer Übergangsregierung habe es gefehlt, die „ordentliche Wahlen“ vorbereitet hätte. Die Friedensverhandlungen verlaufen „sehr zäh“, doch Kussala ist ein „Mann der Hoffnung“ wie er sagt. Dass die Kirche mit am Verhandlungstisch sitze, sei für eine Aussöhnung sehr wichtig. Als eine Art Mediator trete man dort auf. Die Unterzeichnung eines Friedensvertrags hält er in den kommenden Wochen für möglich. Und: „Die EU sollte sich einschalten und Druck in Richtung eines Friedensweges ausüben“, sagt der Bischof.

„Wird nichts zu ernten geben“

Die Zeit drängt. Wegen der Kriegswirren droht Anfang 2015 eine Hungerkatastrophe. Caritas-Mitarbeiter Kuol: „Niemand konnte seine Felder bestellen. Und die Regenzeit ist vorbei. Es wird nichts zu ernten geben.“ Bis zu fünf Millionen werden Hunger leiden, warnt auch Bischof Kussala: „Wir haben keine Straßen. Es gibt keine Verkehrsverbindungen, um Nahrung in die sieben der zehn betroffenen Bundesstaaten zu bringen.“ Für Hilfsorganisationen werde es schwierig: „Es besteht nur die Möglichkeit des Luftabwurfs von Flugzeugen.“

Die Vorboten einer Hungerkatastrophe sind bereits in der Hauptstadt Juba zu sehen: Kinder mit orangegelben Haaren – ein Zeichen für Unterernährung, der mittlerweile häufigsten Todesursache bei unter Fünfjährigen im Südsudan. Mindestens 125.000 Kinder haben nicht genug zu essen. Die Folgen drohen sie ein Leben lang zu zeichnen: Unterernährung hemmt das Wachstum - auch von Organen.

Wie also lässt sich dieser Krieg beenden? Kuol plädiert dafür, einfach nicht mehr hinzugehen. „Die Zivilgesellschaft hat kein Interesse an diesem Krieg. Dinka und Nuer haben nichts gegeneinander.“ Aber eines stört ihn: Die Nuer tragen waagrechte Narben auf der Stirn. Als Erkennungsmerkmal. „Warum betonen wir unsere Unterschiede?“

AUF EINEN BLICK

Südsudan. Im Juli 2011feierte das Land nach Jahrzehnten des Kriegs die Unabhängigkeit. 97Prozent hatten für die Loslösung vom Norden gestimmt. Das ölreiche Grenzgebiet blieb aber zunächst umkämpft. Im Dezember 2013 artete dann ein interner Machtkampf zwischen Präsident Salva Kiir und seinem entlassenen Vize, Riek Machar, zum Bürgerkrieg aus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.10.2014)

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