Rauer Ostwind lässt auch Nordeuropa frösteln

Die russische Konfrontationspolitik lässt die Skandinavier ihre Sicherheitsstrukturen überdenken. Die Schweden erwägen mehr Verteidigungsausgaben, für die Finnen ist ein Beitritt zur Nato wieder aktuell.

KOPENHAGEN. Es ist erst ein paar Monate her, dass Schwedens Verteidigungsausschuss in einem Lagebericht festgestellt hat, dass ein militärischer Angriff auf das Land in absehbarer Zukunft ausgeschlossen sei. Man solle daher die Territorialverteidigung zurückschrauben und sich künftig auf internationale Einsätze im Friedensdienst konzentrieren.

Forderungen, den Militäretat um zehn Prozent zu beschneiden, gingen mit dem Schönwetterbericht einher. Jetzt aber spüren auch die Schweden den rauen Ostwind aus Russland, und die Debatte hat einen anderen Ton bekommen. Nach dem russischen Straffeldzug gegen Georgien warnte der liberale Parteichef Jan Björklund davor, die geplanten Sparmaßnahmen durchzuführen.

Zwar betont der konservative Verteidigungsminister Sten Tolgfors, dass man die Lage an der Ostsee nicht mit der im Kaukasus vergleichen könne. Aber auch er sagt, dass Russlands „Aggression bedeutende Relevanz“ für Schwedens Sicherheitsstruktur bekommen habe.

Bildt: „Wie Hitler-Deutschland“

In ungewöhnlicher Schärfe hat Außenminister Carl Bildt die russische Anerkennung Abchasiens und Südossetiens als eine „Kursentscheidung mit weitgehenden Konsequenzen“ bezeichnet: Russlands Führung habe die „Konfrontation mit dem übrigen Europa und der internationalen Staatengemeinschaft gewählt“.

Dass Bildt das Vorgehen der russischen Truppen mit der Annektierung des Sudetenlandes durch Hitler-Deutschland verglich, löste wütende Proteste aus Moskau aus. „Wie man sich bettet, so liegt man“, war Bildts einzige Reaktion darauf.

Auch in Finnland ist die Unruhe groß. Es sei „enttäuschend“, dass „Militärmacht weiterhin Teil der russischen Außenpolitik“ sei, sagte Premier Matti Vanhanen, und Präsidentin Tarja Halonen sah sich durch den Krieg in Südossetien daran erinnert, dass „die sogenannten eingefrorenen Konflikte sehr schnell auftauen können“. Finnland sei eines der wenigen europäischen Länder, das sich selbst verteidigen könne, und dieses Prinzip werde man nicht aufgeben.

„Finnland muss flexibel sein“

Doch „natürlich“ werde die Kaukasus-Krise auch Finnlands Verteidigungsplanung beeinflussen, sagt Premier Vanhanen. „Weder Russland noch andere Länder können Einflusssphären haben, die sich in das Territorium anderer Staaten erstrecken.“ Wer sage, dass der Georgien-Krieg Finnlands Politik nicht berühre, „lebt in einer anderen Welt“, ergänzt Verteidigungsminister Alexander Stubb.

Für Stubb ist der Zeitpunkt gekommen, Finnlands Verhältnis zur Nato zu überdenken: „Jetzt macht es Sinn, eine Mitgliedschaft zu erwägen. Der Zeitpunkt für eine Entscheidung ist noch nicht gekommen, aber wir müssen flexibel sein und unsere Sicherheitspolitik rasch anpassen. Das darf nicht in Zeitlupe geschehen.“

Neutralität hat nichts genützt

Für Einwände, dass er ja gerade als Vertreter eines neutralen Staates in Georgien mithelfen konnte, eine Waffenruhe zu vermitteln, hat Stubb nicht viel übrig: „Mir half nicht der Status des Neutralen, sondern der OSZE-Hut. Und starke Telefonbatterien.“ Finnland hat in diesem Jahr den Vorsitz in der europäischen Sicherheitsorganisation OSZE.

Ein Nato-Beitritt Finnlands, das eine lange Landesgrenze mit Russland teilt, würde allerdings die Beziehungen zu Moskau weiter abkühlen. „Vor ein paar Jahren wäre ein Beitritt unkomplizierter gewesen“, meint Pertti Salolainen, der konservative Vorsitzende des Verteidigungsausschusses.

In Norwegen, das bis zum Beitritt der baltischen Staaten Russlands einziger Nato-Nachbar war, sieht sich Außenminister Jonas Gahr Støre mit „einer Zehe in jedem Lager“ stehen. Oslo wünscht gute Beziehungen zu Moskau und legt großen Wert auf die Zusammenarbeit in den Grenzregionen. Gleichzeitig wollen die Norweger aber eine „feste Haltung“ der Nato gegenüber Russland – und diese möglichst einstimmig.

GESCHICHTE

Finnland und Schweden haben Erfahrung im Krieg mit Russland. Seit 1321 gab es elf schwedisch-russische Kriege, zuletzt 1808/09, als Schweden die Provinz Finnland an Russland verlor. Finnland löste sich 1917 von Russland und focht 1939/40 sowie als deutscher Alliierter 1941-44 gegen die UdSSR.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.08.2008)

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