Die Karten im Kaukasus werden neu verteilt

Analyse. Der Krieg zwischen Russland und Georgien könnte eine historische Annäherung zwischen der Türkei und Armenien einerseits sowie Armenien und Aserbaidschan andererseits bewirken.

Der kurze russisch-georgische Krieg hat im Handumdrehen die Karten im Kaukasus und in Zentralasien neu verteilt. Dies gilt nicht zuletzt für das Verhältnis zwischen der Türkei und Armenien: Seit Frühling drängt Armeniens Präsident Sergej Sarkisjan auf eine Normalisierung der Beziehungen zur Türkei. Wegen des Karabach-Konflikts besteht seit Jahren eine Wirtschaftsblockade Ankaras gegen Armenien.

Die Türkei war zwar bereit, ihrerseits auf den Nachbarn zuzugehen – doch sah man sich in der stärkeren Position und wollte zumindest, dass Armenien und die armenische Diaspora endlich aufhören, weiter zu trommeln, die Türkei habe im Ersten Weltkrieg einen Völkermord an Armeniern begangen.

Dazu schlug Ankara den Armeniern die Einsetzung einer gemeinsamen Historikerkommission vor. Die Türkei hätte dann stets darauf verweisen können, dass die Frage historisch noch nicht geklärt sei. Armenien erkannte die Falle und lehnte ab. So drohte die Annäherung, eingeleitet über Geheimgespräche in der Schweiz, im Sand zu verlaufen.

Mit dem russisch-georgischen Krieg hat sich jedoch das Blatt gewendet. Das nun destabilisierte Georgien war für die Rolle der Türkei in der Region von strategischer Bedeutung. Nach dem Zerfall der Sowjetunion verlor Moskau zwar die direkte Herrschaft über Zentralasien, doch die dortigen Rohstoffe, vor allem Öl und Gas, mussten weiter zum größten Teil über russisches Gebiet geliefert werden.

Um die Abhängigkeit Europas von Russland zu verringern und zugleich den Iran nicht zum Zuge kommen zu lassen, entstand die Idee eines Energiekorridors von Zentralasien über die Türkei. Erster Schritt zur Verwirklichung dieses Korridors war der von der Europäischen Entwicklungsbank geförderte Bau einer Ölpipeline von Baku über Tiflis zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan.

Der Verlauf der Pipeline war nicht technisch, sondern politisch bestimmt. Es wurden sowohl Russland als auch das mit Aserbaidschan und der Türkei verfeindete Armenien umgangen.

Ob beim russischen Einmarsch in Georgien diese Pipeline beschädigt wurde, ist freilich nicht geklärt. Sie war schon vor dem Georgien-Krieg wegen eines Sabotageaktes kurdischer Separatisten in der Türkei unterbrochen. Russische Raketen sollen jedenfalls nahe einer Pumpstation eingeschlagen sein.

Dass vorigen Sonntag ein mit Rohöl aus Aserbaidschan beladener Zug nach georgischen Angaben auf eine russische Mine fuhr und explodierte, spricht jedenfalls Bände. Schlecht sieht es nun für das zweite Megaprojekt zur Energieversorgung Europas aus Zentralasien aus: Als „Nabucco“-Projekt wird eine Gaspipeline gehandelt, die man sich als eine Röhre mit einem Innendurchmesser von 1,42 Metern und 3300 Kilometer Länge vorzustellen hat. Damit soll zunächst Gas, das bei der Ölförderung im Kaspischen Meer vor Aserbaidschan anfällt, nach der bisher für das Jahr 2013 anvisierten Fertigstellung durch Aserbaidschan, Georgien, die Türkei, Bulgarien, Rumänien und Ungarn bis nach Österreich strömen.

Initiiert hat dieses Projekt die österreichische OMV. Später könnte auch Erdgas aus Turkmenistan, und eventuell Iran und Irak, hinzukommen. Über eine Verlängerung nach Deutschland wird ebenfalls nachgedacht. Die Kosten für den Bau von Nabucco werden ohne Verlängerungen auf 7,9 Milliarden Euro geschätzt.

Soner Cagaptay, Analytiker des „Washington Institute“ und derzeit Gastdozent an der Bahçesehir-Universität in Istanbul, glaubt nicht, dass sich nach dem jüngsten militärischen Konflikt im Kaukasus noch Investoren finden werden, die das Risiko eingehen, in ein Projekt unter Einbeziehung Georgiens zu investieren. Auch über die geplante Verlängerung der bestehenden Ölpipeline nach Kasachstan wird wohl nun noch einmal nachgedacht werden. Will die Türkei den Energiekorridor retten, so bleiben nur zwei Wege: entweder eine Stabilisierung Georgiens oder eine Annäherung an Armenien. Das erste ist ungewiss, das zweite schwierig.

Im Kampf um die armenische Exklave Berg-Karabach hat Armenien rund 20 Prozent des Territoriums von Aserbaidschan militärisch besetzt. Ohne einen Kompromiss in der Karabach-Frage ist es unmöglich, eine Pipeline von Aserbaidschan durch Armenien in die Türkei zu bauen. Überdies bleibt Armenien abhängig von russischer Unterstützung.

Aber auch hier sind die Karten neu verteilt. Bisher nutzte Aserbaidschan seine Öleinnahmen zur Aufrüstung. Vermutlich hätte es eines Tages versucht, Berg-Karabach und die umliegenden Gebiete mit Gewalt zurückzuholen. Das Beispiel Georgien dürfte nunmehr abschreckend wirken.

Zugleich könnte ein Frieden mit den Armeniern für Aserbaidschan auch der Ausweg aus der geopolitischen Falle sein, in der es sitzt, wenn Georgien weiter destabilisiert wird.

Sowohl Ankara als auch Baku müssten also ein großes Interesse daran haben, die Konflikte mit den Armeniern zu begraben. Erste diplomatische Fühler hat die Türkei auch schon ausgestreckt. Doch die Wunden der Vergangenheit im Kaukasus sind besonders tief.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.08.2008)

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