Machtverschiebung: Das Ende des amerikanischen Zeitalters?

(c) EPA (Matthew Cavanaugh)
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Imperiale Überdehnung, der Aufstieg anderer Großmächte und die Finanzkrise verstärken den Eindruck, dass die Supermacht im Niedergang ist. Doch niemand sollte die Erneuerungskraft der USA unterschätzen.

Hat Amerika seinen Höhepunkt überschritten? Erleben wir den Anfang vom Ende des amerikanischen Zeitalters? Die Krisensymptome häufen sich: Banken krachen, Aktienkurse fallen, die Staatsschulden steigen, der Dollar ist schwach – und auch die außenpolitische Durchsetzungsfähigkeit der Supermacht schwindet. Seit 44 Jahren, seit das Pew Research Center bundesweite Umfragen durchführt, waren die Amerikaner nicht mehr so pessimistisch.

Das Wort vom Niedergang der USA macht die Runde. Ob liberal oder konservativ, amerikanische Intellektuelle aller Couleurs erkennen die Konturen einer neuen Weltordnung. Der „unipolare Moment“ der USA, den die Neokonservativen beschworen haben, ist vorbei. Schon sieht Fareed Zakaria, Herausgeber von „Newsweek“ und einer der klarsichtigsten politischen Analytiker seines Landes, eine postamerikanische Welt heraufdämmern. Richard Haas, Präsident des Council of Foreign Relations, schreibt von einer nonpolaren Welt. Und Robert Kagan, Berater des republikanischen Präsidentschaftskandidaten John McCain, konstatiert die Rückkehr der Geschichte, des Ringens zwischen Demokratien und Autokratien.

Die vierte Angstwelle

Doch es ist nicht das erste Mal, dass Abgesänge auf die USA angestimmt werden. Amerika erlebt bereits die vierte Angstwelle seit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs: Zuerst kam 1957 der russische Sputnik-Schock, dann in den 70er-Jahren der Ölschock; Ende der 80er-Jahre fürchteten sich die Amerikaner vor der großen japanischen Übernahmewelle. Und jetzt ist die Finanzkrise da, die sich mit Anzeichen imperialer Überdehnung und dem Aufstieg neuer Großmächte wie China paart.

Amerika hat schon andere Krisen ausgestanden. In den 70er-Jahren schoss die Arbeitslosigkeit auf zehn Prozent hinauf, gleichzeitig erklomm die Inflation zweistellige Höhen. In Vietnam verloren die USA damals ihren Nimbus der Unbesiegbarkeit und der moralischen Überlegenheit. Nach „Watergate“ und dem Rücktritt Richard Nixons war das Vertrauen ins politische System perdu. Doch Amerika kam zurück, kämpfte die Inflation nieder und gewann unter Ronald Reagan neues Selbstbewusstsein.

Wird es diesmal wieder so sein? Immer noch ist Amerika die größte Volkswirtschaft der Welt und produziert mehr als ein Viertel des globalen Outputs. Im Jahr 2025 wird China mit seiner Milliardenbevölkerung gerade einmal die Hälfte des US-Bruttonationalprodukts erreicht haben. Immer noch haben die Amerikaner die Nase bei Zukunftstechnologien vorne.

Von den zehn besten Unis der Welt sind sieben in den USA. Und während China, Japan, Russland und Europa auf ein demografisches Problem zusteuern, müssen sich die Amerikaner über ihre Geburtenrate keine Sorgen machen.

Militärisch unangefochten

Militärisch sind die USA eine Klasse für sich. Sie geben mehr für ihre Streitkräfte aus als die nächsten 14 Länder zusammen genommen. Und doch haben sich die USA ausgerechnet militärisch verzettelt – im Irak und auch in Afghanistan. Der Riese ist gefesselt, plötzlich kann eine Regionalmacht wie der Iran ungestraft provozieren. Und Russland markiert wieder, fast so wie in Sowjetzeiten, seine Einflusssphären mit aller Macht. Der Glaube, dass nach dem Fall des Kommunismus alle Staaten zwangsläufig lieb und demokratisch werden, ist tief erschüttert. China und Russland beweisen, dass man wirtschaftlich erfolgreich und autokratisch sein kann. Auch das ist möglicherweise nur eine Momentaufnahme.

Und doch ist in der globalen Tektonik der Macht einiges in Bewegung geraten. Seit Bush zum Präsidenten angelobt wurde, hat sich die chinesische Wirtschaftskraft verdoppelt. Es ist der schnellste Aufstieg, den die Welt je gesehen hat, vergleichbar nur mit der amerikanischen Erfolgsgeschichte. Auch Indien ist erwacht.

Mittlerweile hält China US-Währungsreserven im Wert von 1,7 Billionen Dollar. Das kommunistisch regierte China steht für die Schulden der Supermacht gerade. Und verschuldet hat sich Amerika in den letzten Jahren in atemberaubendem Ausmaß. Die Staatsverschuldung beträgt mehr als neun Billionen Dollar. Damit macht sich Amerika abhängig. Was, wenn die Chinesen ihre amerikanischen Staatsanleihen verkaufen? So einfach aber ist das nicht in der neuen vernetzten Welt. Denn ohne Absatzmärkte in Amerika bricht Chinas Wirtschaftswunder ein. Man sollte nicht den Fehler begehen und die USA zu früh abschreiben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.09.2008)

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