Kanada unter Schock nach Angriff auf Parlament

Schießerei im Parlament: Standbild aus dem Video eines Augenzeugen
Schießerei im Parlament: Standbild aus dem Video eines AugenzeugenREUTERS
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Nach dem Feuerüberfall auf Kanadas Volksvertretung herrscht in Ottawa Ausnahmezustand. Der Premier floh durch einen Tunnel aus dem Parlament, Schulen wurden geschlossen, Gebäude evakuiert.

Kanadas Hauptstadt wurde am Mittwoch von einem Terroranschlag erschüttert: Das Zentrum der kanadischen Regierung und Demokratie wurde attackiert. Ein Mann schoss am Vormittag zunächst auf einen Soldaten, der am Kriegerdenkmal in unmittelbarer Nähe des Parlaments Wache stand. Dann drangen ein oder mehrere Attentäter in die Volksvertretung ein. Durch die Parlamentsgänge hallte Gewehrfeuer, ein Angreifer wurde nach ersten Berichten erschossen, das Parlament wurde abgeriegelt.

Polizeikräfte brachten Premierminister Stephen Harper und die Vorsitzenden der Oppositionsparteien in Sicherheit.
Über Hintergründe der Tat und die Anzahl der Täter lagen zunächst keine Informationen vor. Allerdings sind die Behörden schon länger alarmiert: Die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) hatte ihre Sympathisanten aufgefordert, wegen der Beteiligung Kanadas an Angriffen auf den IS auch in dem nordamerikanischen Land Anschläge durchzuführen.

Die Sicherheitsstufe war erst am Dienstag verschärft worden, nachdem ein Anschlag auf zwei Soldaten bei Montreal verübt worden war. Der 25 Jahre alte Martin Couture-Rouleau hatte die Soldaten absichtlich mit seinem Auto überfahren. Einer der Soldaten wurde dabei tödlich verletzt. Der Angreifer war vor einiger Zweit zum Islam konvertiert.

Militär riegelt Gebäude ab

Der Soldat, der am Mittwoch vor dem Parlament angeschossen worden war, erlag Medienberichten zufolge Stunden später seinen Verletzungen. Möglicherweise wurde die Attacke von mehr als einem Täter ausgeführt. In Berichten war zunächst von zwei oder drei Tätern und späteren Schusswechseln in der Nähe des Parlaments sowie in dem nahegelegenen Einkaufszentrum Rideau Centre sowie dem Hotel Château Laurier im Zentrum Ottawas die Rede. Später gab die Polizei über Twitter bekannt, dass in dem Einkaufszentrum aber nichts passiert sei.

Der kanadische Rundfunk CBC sprach von einem „Angriff auf das kanadische Parlament“. Das Parlamentsgelände wurde von Polizei und Militär abgeriegelt. Abgeordnete, Parlamentsmitarbeiter und Journalisten wurden aufgefordert, sich in ihren Büros zu verbarrikadieren. Das nordamerikanische Luftverteidigungskommando NORAD wurde in erhöhten Alarm versetzt.

Ottawas Polizei teilte gegen 13 Uhr Ortszeit mit, dass sie nach Verdächtigen an drei verschiedenen Stellen suche. Da am Mittwochvormittag Fraktionssitzungen stattfinden, waren alle Abgeordneten im Haus. Sie wurden aus dem Gebäude geleitet oder verblieben in ihren Büros. Vom Zentralblock mit dem Sitzungssaal führt ein Tunnel zum Premierministeramt, dem so genannten Langevin Building. Offenbar wurde Premier Harper durch diesen Tunnel aus dem Parlament gebracht. Er und die Vorsitzenden der Oppositionsfraktionen, Tom Mulcair und Justin Trudeau, befanden sich ebenfalls letzten Meldungen zufolge in Sicherheit. Harpers Sprecher teilte mit, dass der Regierungschef in Sicherheit sei und sich von den Leitern der Polizeibehörden über die Lage informieren lasse.

Schock für Kanadas Öffentlichkeit

Die Kanadier waren bisher stolz darauf, dass ihr Parlament und ihre Regierungsstellen nicht so streng abgesichert sind wie in vielen anderen Hauptstädten, vor allem in Washington. Jedermann kann unbehelligt zu Fuß das Parlament erreichen und muss erst im Inneren durch eine Sicherheitsschleuse gehen. Die Schüsse von Ottawa sind nun ein Schock. Ob die Sicherheitsvorkehrungen verschärft werden, wird sich jetzt zeigen.

Zwar lagen am Mittwoch zunächst die Hintergründe des Überfalls auf das Parlament noch im Dunklen und es war nicht klar, ob er etwas mit islamistischem Terror zu tun hatte. Das Attentat heizte aber einen Tag nach dem Vorfall in Montreal die Furcht vor den radikalisierten jungen kanadischen Jihadisten an. Kanadas Geheimdienst CSIS geht davon aus, dass bis zu 130 junge Kanadier im Irak und Syrien in den Reihen von Jihadisten aktiv sind, und dass rund 80 junge Kämpfer bisher zurückgekehrt sind.

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