Kanada: Ein Land trotzt dem Terror

Prime Minister Stephen Harper and his wife Laureen Harper approach the Canada War Memorial to pay their respects to Cpl. Nathan Cirillo in Ottawa
Prime Minister Stephen Harper and his wife Laureen Harper approach the Canada War Memorial to pay their respects to Cpl. Nathan Cirillo in OttawaREUTERS
  • Drucken

Anschläge wie jener vom Mittwoch auf das Parlament sind eine neue Erfahrung für den Ahornstaat. Am Donnerstag war man um Normalität bemüht.

Ottawa. Es klingt entschlossen und soll der Bevölkerung deutlich machen, dass das Parlament vor dem Terror nicht in Angststarre verfällt: Am Tag nach den tödlichen Schüssen am Kriegsdenkmal und im Parlament von Ottawa nahmen die Abgeordneten wieder ihre Arbeit auf – allerdings unter erhöhten Sicherheitsvorkehrungen. Vor dem Beginn der Sitzung begaben sie sich zum Denkmal, nicht nur, um dem getöteten Soldaten Respekt zu zollen: „Wir lassen uns nicht einschüchtern. Demokratie geht weiter“, schrieb der Abgeordnete Charlie Angus auf Twitter.

Auch Premier Stephen Harper und seine Ehefrau, Laureen, legten einen Kranz nieder. Abgeordnete brachten Blumenbouquets, viele Passanten nahmen an dem von der Polizei gesicherten Mahnmal an dem Gedenken für den getöteten 24-jährigen Wachsoldaten, Nathan Cirillo, teil. Die allgemeine Anspannung zeigte sich in einem kleinen Zwischenfall, während Harper den Kranz niederlegte: Ein Mann näherte sich den gelben Absperrbändern und stoppte auch nicht, als die Polizei ihn aufforderte anzuhalten. Polizisten zückten ihre Pistolen und nahmen den Mann fest.

Als Parlamentspräsident Andrew Scheer dann um zehn Uhr die Sitzung eröffnete, waren exakt 24 Stunden seit der Attacke auf das Parlament vergangen. Auf dem Parliament Hill über dem Ottawa-Fluss waren die Sicherheitsvorkehrungen verschärft worden. Das Gelände mit dem Zentral-, West- und Ostblock war für die Öffentlichkeit gesperrt. Ein großes Polizeiaufgebot sicherte die Parlamentsgebäude. Auf dem Parlament und staatlichen Gebäuden wurde die Ahornflagge auf Halbmast gesetzt.

Keine weiteren Täter gesucht

Die Polizei geht nun sicher von einem einzelnen Schützen aus, nachdem am Mittwoch vorübergehend von zwei oder gar drei Attentätern die Rede gewesen war. Als mutmaßlicher Täter wurde ein 32-jähriger Kanadier namens Michael Zehaf-Bibeau genannt, der der Polizei aufgrund früherer kleinerer Straftaten bekannt gewesen sein soll und der, wie es in Medien hieß, zum Islam konvertiert sei. Am Mittwochmorgen hat er kurz vor zehn Uhr am Kriegsdenkmal den Wachsoldaten Cirillo erschossen und stürmte danach zum Parlament. Im Parlament, in dem sich Abgeordnete in ihren Sitzungssälen verbarrikadierten und Touristen von Polizisten in Sicherheit gebracht wurden, wurde der Attentäter schließlich erschossen.

Ob der Attentäter aus politischen Motiven handelte und gar Kontakt zur Terrororganisation Islamischer Staat (IS) hatte, ist noch nicht bekannt. Auch müssen die Ermittlungen noch zeigen, ob er Hintermänner hatte. Erst zwei Tage zuvor hatte in Saint-Jean-sur-Richelieu bei Montreal ein radikalisierter, zum Islam konvertierter junger Kanadier zwei Soldaten mit seinem Auto überfahren und dabei einen getötet.

Premier Harper wandte sich noch am Abend via Fernsehen an die Bevölkerung. Während bis dahin offiziell lediglich von einem Angriff und Überfall die Rede gewesen war, bezeichnete Harper die tödlichen Schüsse auf einen Soldaten am Kriegsdenkmal und den Überfall auf das Parlament in Ottawa als terroristischen Akt: „In den kommenden Tagen werden wir mehr über den Terroristen und die Komplizen erfahren, die er gehabt haben könnte. Die Ereignisse dieser Woche sind eine bittere Mahnung, dass Kanada gegen die Art von Terrorattacken, die wir an anderen Orten der Welt gesehen haben, nicht immun ist.“

Kampfjets in Irak entsandt

Noch ist nicht abzusehen, wie die Ereignisse vom Mittwoch die Stimmungslage und das politische Klima verändern werden. Harper bezeichnete die Tötung des 24-jährigen Wachsoldaten Nathan Cirillo als kaltblütigen Mord. Die Attacke am Ort des Gedenkens für diejenigen, die für Kanadas Freiheit gestorben seien, und auf das Parlament sei ein Angriff auf „unser Land, unsere Werte, unsere Gesellschaft“. Harper deutete mögliche Gesetzesverschärfungen als Konsequenz an. Kanada werde sich nicht einschüchtern lassen und mit seinen Alliierten terroristische Organisationen bekämpfen. Die Regierung hatte erst vor zwei Wochen die Teilnahme an den Militärschlägen gegen den IS im Irak beschlossen und am Dienstag sechs Kampfjets entsandt.

Oppositionspolitiker mahnten, angemessen zu reagieren. Der Mittwoch sei „kein Tag, der alles verändert hat“, die Reaktionen müssten proportional zur Bedrohung stehen, sagte Elisabeth May, Vorsitzende der Grünen. Kanada wählt im Herbst 2015 ein neues Parlament. Das Thema Sicherheit, wird wohl ein wichtiges Wahlkampfthema.

AUF EINEN BLICK

Der 32-jährige Kanadier Michael Zehaf-Bibeau erschoss am Mittwoch einen Wachsoldaten beim Kriegsdenkmal in der Hauptstadt, Ottawa, und lieferte sich anschließend mit Wachleuten eine Schießerei im Parlament. Dabei wurde er getötet. Die Polizei geht mittlerweile davon aus, dass er als Einzeltäter gehandelt hat. Hintergründe zur Tat waren auch am Donnerstag noch nicht bekannt. Es wurde aber vermutet, dass sie mit der Beteiligung Kanadas an der Anti-IS-Koalition im Irak zusammenhängt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.10.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Außenpolitik

Ottawa: Attentäter wollte seit Wochen nach Syrien

In der Nacht auf Freitag veröffentlichte die kanadische Polizei Details zum Angreifer von Ottawa. Er hatte offenbar seit drei Wochen versucht, nach Syrien zu reisen.
Archivbild von Kevin Vickers, dem "Sergeant at Arms" und Schierheitschef des kanadischen Parlaments.
Außenpolitik

Der Held von Ottawa

Sein Amt wirkt antiquiert, nun ist er ein Held: Der 58-jährige Parlaments-Sergeant Kevin Vickers soll den Attentäter von Ottawa erschossen haben.
CANADA OTTAWA SHOOTING AFTERMATH
Leitartikel

Die Angst vor den „einsamen Wölfen“ darf nicht blind machen

Auch wenn das wenig tröstlich ist: Die Wahnsinnstaten einzelner Attentäter wie in Ottawa werden nie völlig zu verhindern sein.
Außenpolitik

Der Terrorist von Ottawa

Er raubte, handelte mit Drogen und konvertierte zum Islam: Der 32-jährige Michael Zehaf-Bibeau soll den tödlichen Anschlag in Kanadas Hauptstadt verübt haben.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.