Wie man „einsame Wölfe“ stoppt

USA CRIME AXE ATTACK
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Ein Amokläufer mit Axt in New York, zwei Attentäter in Kanada, die Marathonbomber von Boston: Forscher warnen seit Langem vor dem Reiz, den Terror auf einsame, haltlose junge Männer ausübt

Washington. Den rechtsradikalen Norweger Anders Breivik verbindet auf den ersten Blick mit dem islamistischen Kanadier Michael Zehaf-Bibeau ebenso wenig wie die Amerikaner Dschohar Tsarnaev und Zale Thompson. Dennoch eint all diese jungen Männer eines: Sie haben grausame Anschläge auf Unschuldige verübt – in Eigenregie, ohne Geld, Waffen und logistische Unterstützung durch terroristische Organisationen.
Allein in der vergangenen Woche rückten drei derartige Angriffe solcher „einsamen Wölfe“ diese Form des Terrorismus in den Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit. Am Montag tötete der 25-jährige Kanadier Martin Rouleau mit seinem Auto in Québec einen Soldaten und verletzte einen zweiten, bevor er von der Polizei erschossen wurde. Zwei Tage darauf lief sein 32-jähriger Landsmann Michael Zehaf-Bibeau in Ottawa Amok, erschoss zuerst einen Soldaten und stürmte dann das Parlamentsgebäude, in dem er bei einem Feuergefecht mit Sicherheitsbeamten starb.

Tags darauf schlich sich der ebenfalls 32-jährige Zale Thompson im New Yorker Stadtteil Queens an vier Polizeikadetten heran, die vor einer Kamera für ein Foto posierten, und schlug mit einem Beil auf sie ein. Einem der Beamten fügte er eine schwere Schädelverletzung zu, den anderen erwischte er am Arm, bevor ihn die anderen Polizisten erschossen. Motivator dieser drei jüngsten Angriffe ist ein gewalttätiger islamistischer Fundamentalismus, wie ihn die Milizen des Islamischen Staates (IS) in Syrien und im Irak seit Monaten ausüben. Doch keiner der drei Männer war (zumindest nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungserkenntnisse) in einer islamistischen Organisation aktiv.

Die Pyramide der Radikalität

Sie handelten auf eigene Faust – und fielen haargenau in jenes Schema, das die Psychologen Clark McCauley und Sophia Moskalenko (beide forschen für das nationale Studienzentrum für Terrorismusfragen an der University of Maryland, College Park) heuer in einem Papier für das Fachjournal „Terrorism and Political Violence“ umrissen.
Diese Einzelgänger ließen sich grob in zwei Gruppen fassen: jene, die bloß radikale Meinungen hegen, und jene, die zu radikalen Taten bereit sind. Eine radikale Meinung zu haben ist in offenen, demokratischen Gesellschaften natürlich nicht strafbar. Allerdings lasse sich eine vierstufige Pyramide der zunehmenden Radikalisierung erkennen, die von Neutralität über Sympathie und Rechtfertigung im Gefühl gipfelt, moralisch zu einer Gewalttat verpflichtet zu sein.

Dieser letzte Schritt sei entscheidend, um zu erkennen, ob jemand bereit ist, auf eigene Faust zur Waffe zu greifen: „Das gefährlichste Anzeichen für das Potenzial von Einsamer-Wolf-Terrorismus ist die Verbindung von radikalen Meinungen sowie den Mitteln und der Gelegenheit zu radikalem Handeln.“ Sie unterscheiden zwischen „einsamen Wölfen“, die von der Gesellschaft isoliert sind und Anzeichen psychischer Störungen aufweisen, und jenen, die sich aus falsch orientiertem Mitgefühl für das Leiden anderer (oft sind es die Kinder im Gazastreifen) zu Racheakten verpflichtet fühlen.

Unter Beobachtung halten

Was heißt das für die Erkennung „einsamer Wölfe“ und die Vorbeugung ihrer Taten? „Angesichts dessen, dass radikale Meinungen häufig, radikale Taten aber selten sind“, müsse man verhindern, dass sie die Mittel für ihre Taten in die Hände bekommen – also vor allem Waffen und Sprengstoff. Terrorexperten wie Peter Neumann vom King's College in London raten zudem dringend dazu, jene radikalen Sympathisanten des IS, denen die Reisepässe entzogen werden, um sie an der Reise in den Nahen Osten zu hindern, besonders genau im Auge zu behalten. Der Fall des Amokläufers von Ottawa veranschaulicht die Dringlichkeit dieser Maßnahme ebenso wie die Schwierigkeit, sie zu ergreifen: Zehaf-Bibeau wollte einen Pass, bekam ihn aber nicht. Auf der Liste jener 90 kanadischen Gefährder, die unter Aufsicht der Sicherheitsbehörden sind, war er nicht.

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