Brasilien: Das Land, wo die Korruption blüht

Rousseff of Workers Party arrives to a television debate with Neves of Brazilian Social Democratic Party in Rio de Janeiro
Rousseff of Workers Party arrives to a television debate with Neves of Brazilian Social Democratic Party in Rio de JaneiroREUTERS
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Kurz vor der Präsidentenwahl am heutigen Sonntag in Brasilien gerät Amtsinhaberin Dilma Rousseff unter Druck: Ihre Partei wird von einem schweren Bestechungsskandal erschüttert.

Sie musste das Gespräch unterbrechen, sich setzen, einen Schluck Wasser trinken. Der Blutdruck, erklärte sie nach erschöpftem Augenaufschlag. Zehn Tage vor der Stichwahl unterbrach Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff ein Interview, das sie im Anschluss an die wohl heftigste TV-Debatte gab, die Brasiliens Demokratie in Erinnerung hat. Aécio Neves, Rousseffs konservativer Widersacher, hatte die Präsidentin zuvor mit einem für sie zurzeit besonders schmerzhaften Thema konfrontiert: dem Skandal um die Gelder von Petrobras.

Der hat es tatsächlich in sich. Der Ölmanager Paulo Roberto Costa leitete zehn Jahre lang die Raffineriesparte des überwiegend staatlichen Energieriesen, der im letzten Jahrzehnt gigantische Investitionen tätigte. Der im März verhaftete Ingenieur beichtete, dass Firmen, die von ihm Aufträge bekamen, diese mit drei Prozent der Auftragssumme vergüten mussten. Das Geld reichte er, nach Abzug eines Anteils für die Haushaltskasse, an Spitzen der Regierungsparteien weiter. Am meisten bekam die größte Fraktion – die Arbeiterpartei (PT) der Präsidentin Dilma Rousseff. Costa nannte dabei die Vorsitzenden des Abgeordnetenhauses und des Senats, beides PT-Genossen, und auch mehrere Gouverneure. Auf Costas Auslandskonten entdeckten die Fahnder 25 Millionen Dollar. Sie beschlagnahmten die Jacht und den kugelsicheren Range Rover.

Dass dieser Sumpf seine Faulgase nun ausgerechnet während des Wahlkampfs freisetzt, werten die wenigsten als Zufall. Dennoch: Sollten sich Costas Kantilenen als korrekt erweisen, wäre dieser Skandal wohl die zweite Mega-Schmiergeldaffäre im Dunstkreis der Arbeiterpartei. Jener Gruppierung, die viele Bürger 2002 wählten, damit die dauernden Durchstechereien ein Ende hätten. Doch bald mussten die Brasilianer erkennen, dass sie den Bock zum Gärtner gemacht haben.

Drei Jahre regierte Luiz Inácio Lula da Silva, da wurde ruchbar, dass der mächtigste Zuarbeiter des Präsidenten monatlich Parlamentariern prallvolle Kuverts zukommen ließ, damit diese die Gesetzesvorlagen der PT abnickten. Dass Lula davon wusste, konnte nie nachgewiesen werden. Die gesamte PT-Spitze wurde nach sieben (!) Jahren Ermittlungen vom Obersten Gerichtshof zu hohen Haftstrafen verurteilt. Lulas Kronprinz José Dirceu bekam zehn Jahre, ein Novum.

Einst Hoffnungsträgerin. Politische Profiteurin des Rückzugs des Lula-Intimus war Dilma Rousseff, die zu Beginn ihrer Amtszeit gar zur Hoffnungsträgerin jenes kleinen Teils der Zivilgesellschaft aufstieg, der Korruption nicht als unvermeidliches Alltagsärgernis ansieht wie Regengüsse, Stromausfälle oder Dauerstaus. Denn die Präsidentin ließ in ihren ersten Amtsjahren nicht weniger als sieben Minister fallen, die in Korruption verwickelt waren. „Vorwärts, Dilma, weiter so!“ stand auf den Transparenten der Demonstranten 2011. Nur zwei Jahre später marschierten sie wieder – gegen die Geldverschwendung im Zuge der Fußball-WM, die Brasilien mehr Geld kostete als die zwei Championate in Deutschland 2006 und Südafrika 2010 zusammen.

Damit kein falscher Eindruck aufkommt: Ziemlich alle Lager in Brasilien haben ihre dunklen Flecken. Rousseffs Gegenkandidat Neves etwa kann bis heute nicht erklären, warum der Bundesstaat Minas Gerais unter seiner Regierung einen kompletten Flugplatz angelegt hat – auf den Ländereien des Lebemanns, der die Nächte gern mit den Schönheiten von Rio durchfeiert. Und aus São Paulo kommt Paulo Maluf, Politiker der kleinen Fortschrittspartei, dessen Nachname zu einem Neologismus wurde. „Malufar“ steht im Brasilianischen für das systematische Ausnehmen des Staates, wie es der 83-jährige Ex-Bürgermeister, Verkehrsminister und Gouverneur des Bundesstaates offenbar virtuos exerziert hat. Um mehrere hundert Millionen Dollar geht es bei diversen internationalen Ermittlungen gegen den Ingenieur mit libanesischen Wurzeln, es gibt Belege für Transaktionen zwischen Finanzzentren und Steuerparadiesen. Maluf steht auf der Fahndungsliste von Interpol, muss in 181 Ländern fürchten, verhaftet zu werden. In Brasilien nicht, denn er wurde gerade mit über 250.000 Stimmen als Kongressabgeordneter bestätigt, Immunität inklusive. Sollte er die verlieren, was wegen Ermittlungen des Wahlgerichts möglich scheint, braucht er trotzdem keine Angst zu haben, denn das Höchstalter für den Aufenthalt in Gefängnissen hat er schon um 13 Jahre überschritten. Malufs Wahlmotto lautete übrigens: „Das Gesicht mit Vision für die Zukunft.“

Fakten

196,9Millionen Einwohner
hat Brasilien. Die Hauptstadt Brasilia zählt 2,5 Millionen Einwohner.

11.311US-Dollar
betrug das BIP pro Kopf im Jahr 2013. Zum Vergleich: Österreich lag im Vorjahr bei 51.492 US-Dollar.
Auf dem Human Development Index der UNO nimmt Brasilien den 85. Platz von 186 ein. Das Land gilt als aufstrebende Volkswirtschaft, zu den Haupthandelspartnern zählen China, die USA und Argentinien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.10.2014)

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