Gericht: Erdogan wollte Türkei zum Islam-Staat umbauen

Tuerkische Fahnen
Tuerkische Fahnen(c) AP (Burhan Ozbilici)
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Die türkische Regierungspartei entging im Juli nur um Haaresbreite einem Verbot. Das zeigt die am Freitag veröffentlichte Urteilsbegründung der Höchstrichter. Nur der Verzicht auf Gewalt bewog die Richter zur Milde.

Die Entscheidung des türkischen Höchstgerichts, die Regierungspartei AKP wegen islamistischer Tendenzen Anfang Juli zu einer Geldstrafe zu verurteilen, schlägt weiter Wellen. Die Richter veröffentlichten am Freitag die Begründung für ihre Entscheidung. Darin werfen sie Premier Recep Tayyip Erdogen und anderen hochrangigen AKP-Politikern vor, die Türkei in einen islamischen Staat umzuwandeln zu wollen.

Experten sahen in dem Urteil eine Aufforderung an die Partei, Abstand zu islamistischen Tendenzen zu halten. Die aus mittlerweile für illegal erklärten islamistischen Parteien hervorgegangene AKP (Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei, Adalet ve Kalkinma Partisi) war nur knapp einem Verbot entgangen.

"Versuch, den Staat umzustrukturieren"

"Erdogan machte deutlich, dass seine Vorstellung von der Glaubensfreiheit das Ziel hatten, eine uneingeschränkte Freiheit für den politischen Islam zu erreichen", hieß es in der 370 Seiten langen Begründung. "Es gab einen Versuch, den Staat innerhalb des Rahmens und der Regeln einer bestimmten Religion umzuwandeln und umzustrukturieren."

Erdogan und hochrangige Mitglieder der Partei hätten nicht nur versucht, das Kopftuch- Verbot an Universitäten abzuschaffen und das Alter für die Aufnahme in Koran-Schulen zu senken. Der Ministerpräsident habe schon zuvor Bemerkungen gemacht wie die, dass die Türkei "ein moderner islamischer Staat" sei.

Unter diesen Umständen sei von einem Verbot nur abgesehen worden, weil die Partei nicht zur Gewalt aufgerufen habe, hieß es. Auch die Reformen als Vorbereitung zu einem EU-Beitritt seien berücksichtigt worden. Dabei hätten Minderheiten und Frauen mehr Rechte erhalten.

Nur knapp dem Verbot entgangen

"Das zeigt, wie knapp die AK-Partei der Schließung entgangen ist", sagte Zeitungskolumnist Yusuf Kanli. "Das Gericht sagt der Partei, dass sie sich selbst kontrollieren und von provokanter Politik wie den Kopftüchern fern bleiben muss." Auch die Entscheidung der Richter war knapp gewesen. Die elf türkischen Verfassungsrichter stimmten zwar mit sechs zu fünf Stimmen für ein Parteiverbot - für ein Verbot wären aber sieben Ja-Stimmen erforderlich gewesen.

Die Urteilsbegründung sorgte für neuen Streit zwischen der AKP und der säkularen Elite der Türkei, zu denen Richter und Generäle zählen. Die Regierungspartei, die die Wahl im vergangenen Jahr deutlich gewann, hat die Vorwürfe einer schleichenden Islamisierung des Landes stets zurückgewiesen.

Erdogan bleibt jüngsten Umfragen zufolge der beliebteste Politiker des Landes. Nach der Aufhebung der von ihm angestoßenen Kopftuch-Reform durch das Verfassungsgericht im Juni, erwägt er nun, die Macht des Gerichts zu beschneiden.

(Ag.)

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