Syrien: „Nehmen Dinge selbst in die Hand“

(c) Reuters (Khaled Al-Hariri)
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Eine Operation von US-Elitetruppen auf syrischem Gebiet sorgt für Aufregung. Galt der Angriff al-Qaida-Kämpfern – oder traf er nur Zivilisten, wie Damaskus behauptet?

KAIRO. „Es war wohl eine Racheaktion des aus dem Amt scheidenden US-Präsidenten George W. Bush“, lautet die Interpretation Reem Haddads, der Sprecherin des syrischen Informationsministeriums. Offiziell verurteilte die Regierung in Damaskus den Angriff auf ein syrisches Dorf an der Grenze zum Irak durch eine US-Spezialeinheit als einen „Akt ernsthafter Aggression“. Die Geschäftsträgerin der US-Vertretung in Damaskus wurde ins Außenamt zitiert.

Nach syrischen Angaben sollen in der Nacht zum Montag vier US-Hubschrauber vom Irak aus die Grenze in der Nähe des ostsyrischen Orts Abu Kamal überquert haben. Zwei der Helikopter sollen danach acht Kilometer innerhalb Syriens bei einem Gehöft gelandet sein, das kurz darauf von US-Soldaten gestürmt wurde.

Ein US-Regierungsvertreter bestätigte am Montag den Militäreinsatz in Syrien, der ausländischen Kämpfern gegolten habe und „erfolgreich“ verlaufen sei. Ein namentlich nicht genannter hochrangiger US-Offizier in Washington erklärte, die Operation einer US-Eliteeinheit habe Nachschubwegen arabischer al-Qaida-Kämpfer gegolten, die regelmäßig von Syrien aus in den Irak eindringen würden. „Jetzt nehmen wir die Dinge selbst in die Hand“, kommentierte der Offizier. Auch ein Sprecher der irakischen Regierung bestätigte, dass der Angriff auf syrischem Gebiet arabischen Kämpfern gegolten habe: „Das angegriffene Gebiet war immer wieder Szene für Aktivitäten von Terrorgruppen, die gegen den Irak operierten“, erklärte er.

Ungesicherte Grenze?

Die vom syrischen Staatsfernsehen präsentierten Verletzten erzählten dagegen, dass die Opfer des Angriffs Bauarbeiter und die Familie eines Wächters, darunter auch vier Kinder, seien. Die Regierung in Damaskus behauptet, acht Menschen seien ums Leben gekommen, unter ihnen eine Frau und vier Kinder.

Ein lokaler, für die Nachrichtenagentur AP arbeitender Journalist hingegen sah beim Begräbnis am Montag die Leichen von sieben Männern. Laut seiner Aussage seien keine Frauen und Kinder unter den Toten gewesen.

Der Streit zwischen Washington und Damaskus über die Infiltration arabischer Kämpfer ist fast so alt wie die Irak-Besatzung selbst. Noch vor ein paar Tagen hatte der Kommandeur der US-Truppen im Westirak, Generalmajor John Kelly, die syrische Grenze als „unkontrolliertes Tor für alle Arten von Kämpfern“ bezeichnet.

Dagegen hatte ein Offizier des US-Militärgeheimdienstes im Juli erklärt, dass sich die Zahl der via syrischer Grenze eingesickerten Kämpfer in den ersten sechs Monaten halbiert habe. Die Syrer haben auf US-Vorwürfe immer wieder geantwortet, dass US-Truppen und die Iraker ihren Teil der schwer kontrollierbaren Grenze nicht überwachen würden. Zuletzt wuchs in Damaskus die Sorge, dass die syrisch-irakische Grenze für islamistische Kämpfer keine Einbahnstraße sei. Bei einem Anschlag in Damaskus letzten Monat waren mindestens 17 Menschen umgekommen. Unter der Hand verlautet aus syrischen Sicherheitskreisen, der Selbstmordattentäter und sein mit 200 Kilogramm Sprengstoff bepacktes Auto seien aus dem Irak gekommen.

Pakistan: Raketen auf Taliban

Grenzüberschreitend aktiv wurde das US-Militär auch wieder in Pakistan: Von einer US-Drohne abgefeuerte „Hellfire“-Raketen töteten im Stammesgebiet mindestens 20 Menschen. Der Raketenangriff galt zwei Häusern in Shakai in Süd-Waziristan, einer Hochburg des pakistanischen Talibanführers Baitullah Mesud. Er gilt als einer der radikalsten Islamistenführer, der auch die afghanischen Taliban in ihrem Kampf gegen die Afghanistan-Schutztruppe unterstützt. Laut „New York Times“ gab US-Präsident Bush im Juli grünes Licht für Militäreinsätze in Pakistan. Nach heftiger pakistanischer Kritik an einer Kommandoaktion im September seien jetzt nur noch Drohnenangriffe geplant.

AUF EINEN BLICK

Bagdad und die USA werfen Syrien schon seit Jahren vor, die Grenze zum Irak nicht genügend zu sichern und so das Einsickern von Aufständischen aus der arabischen Welt zu ermöglichen. Die Regierung in Damaskus wirft Irakern und Amerikanern im Gegenzug vor, die Grenze auf ihrer Seite nicht ausreichend zu kontrollieren. Die US-Streitkräfte haben nun ein angebliches al-Qaida-Transitgehöft in Syrien angegriffen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.10.2008)

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