Iran-Experte: „In Tel Aviv nehme ich Atomstreit persönlich“

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Der israelische Iran-Experte Barry Rubin hält ein Appeasement gegenüber Teheran für sehr gefährlich.

Die Presse: Es gab immer wieder Gerüchte, wonach Israel den Iran zwischen der US-Wahl und der Amtseinführung des neuen Präsidenten am 20. Jänner bombardieren könnte. Was ist davon zu halten?

Barry Rubin: Das wird nicht passieren. Israel wird nicht angreifen. Es gibt Dinge, über die ich nicht reden kann, aber das von Ihnen angesprochene Bombardement wird es nicht geben. Israel möchte, dass Sanktionen wirksam werden können. Nur, wenn dieser Druck nicht wirkt, dann wird man Alternativen in Betracht ziehen.

Wie wird der neue US-Präsident im Nahen Osten und im Persischen Golf agieren?

Rubin: Die Iraner glauben, sie sind auf der Siegerstraße: Ihr Einfluss im Irak und im Libanon steigt, in der Nuklearfrage haben sie den Westen auch ganz gut an der Nase herumgeführt. Und nun sitzt jemand im Weißen Haus, den sie als schwach empfinden. Ein weiteres Problem dabei: Wenn die arabischen Staaten den neuen Mann im Weißen Haus als schwach gegenüber dem Iran empfinden, werden sie sich dann gegen die Islamische Republik stellen? Werden sie sich für den Friedensprozess engagieren? Genau deswegen ist Appeasement gegenüber dem Iran so gefährlich, weil man keine Allianzen bilden kann, wenn die Partner in diesem Bündnis glauben, man sei zu schwach. Die arrangieren sich dann lieber mit dem Gegner.

Israel betrachtet den Iran als einen Feind. Können Sie den Hintergrund dieser Feindschaft erklären?

Rubin: Jahrzehnte war der Nahe Osten ein Schauplatz von Machtkämpfen zwischen arabischen Nationalisten. Dann wurde dieses Ringen durch den Kampf zwischen Islamisten und den arabischen Nationalisten abgelöst. Seither hat man es mit einer Koalition aus Iran, Hisbollah, Hamas, Syrien und den Aufständischen im Irak auf der einen und einer Allianz aus westlichen Staaten, Israel und den meisten arabischen Regimen auf der anderen Seite zu tun.

Welche Rolle spielt das Nuklearprogramm des Iran dabei?

Rubin: Der Iran braucht die Bombe ja nie einzusetzen. Allein sie zu haben ändert das strategische Antlitz der gesamten Region. In Europa kann man die Lagebeurteilung ganz kühl vornehmen. Aber als jemand, der in Tel Aviv lebt, in jener Stadt, auf die eine mögliche iranische Nuklearrakete gerichtet wird, nehme ich das Problem auch persönlich.

Und wenn der Iran die Bombe hat, wird kein arabisches Land mehr irgendetwas tun, was Teheran nicht passt. Also: Vergessen Sie den Friedensprozess. Zweitens: Der Westen wird gegenüber dem Iran Appeasement betreiben. Drittens: Der Ölpreis wird steigen und hoch bleiben, auch weil Saudiarabien, das bisher die Hardliner in der Opec zur Besinnung gebracht hat, eine schwächere Position gegenüber dem Iran haben wird. Viertens: Die Radikalen werden ungeheuren Auftrieb bekommen. Das heißt mehr Terror, mehr Gewalt. Im Libanon etwa wird niemand mehr an der Hisbollah, die vom Iran unterstützt wird, vorbeikommen.

Europa sieht im Iran eine geringere Bedrohung, kulturell steht der Iran den Europäern viel näher als die meisten Golfstaaten.

Rubin: Das mag sein. Aber will die Welt wirklich eine Regierung wie jene des Iran, die dann Einfluss auf Saudiarabien nehmen könnte? Will die Welt ein Land, das nuklear bewaffnet eine Art Monopolstellung über das Öl am Golf erlangen könnte? Die Ambition des Regimes in Riad ist es, an der Macht zu bleiben. Das Ziel des Regimes in Teheran ist es, sein Einflussgebiet auszudehnen. Ein expansiv-aggressiver Staat ist aber gefährlicher als ein Staat, dessen Regime nur überleben will.

ZUR PERSON

Barry Rubin lehrt am Interdisciplinary Center (IDC) in Herzliya, Israel, und ist dort Direktor des Global Research in International Affairs (GLORIA) Center sowie Leiter der Lauder School of Government, Diplomacy and Strategy. Zudem ist er Redakteur mehrerer Fachorgane. In Wien war er auf Einladung der Initiativen „Stop the Bomb“ und „Scholars for Peace in the Middle East“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.11.2008)

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