Madrid will Befragung zur Unabhängigkeit Kataloniens stoppen

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Die spanische Regierung schaltet das Verfassungsgericht ein, um „niederträchtiges“ Votum am 9.11. zu verbieten.

Barcelona. Sie schmückt noble Jugendstilpaläste, hängt über den engen Gassen der Altstadt, weht auf begrünten Dachterrassen: Die „Estelada“, die katalanische Unabhängigkeitsfahne, gehört inzwischen zum fixen Bestandteil des Stadtbilds in Barcelona. Vorbei sind die Zeiten, als die rot-gelb-gestreifte Flagge mit Dreieck und Stern nur das Symbol einer extremistischen Minderheit war – die Estelada gehört in der wirtschaftsstärksten Region Spaniens heute zum Mainstream.

Ricard Gené schüttelt entschieden den Kopf, wenn es um die Frage nach Alternativen zur Unabhängigkeit geht: „Wir sind müde. Wir haben kein Vertrauen mehr in Spanien.“ Der Jurist hat eine führende Funktion bei der Katalanischen Nationalversammlung, sein überparteiliches Bündnis hat zuletzt mehr als eine Million Katalanen auf die Straße gebracht, die eine Trennung von Spanien gefordert haben. Dass die Katalanen bereits über weitgehende Befugnisse verfügen – der Unterricht in Schulen findet etwa auf Katalanisch statt, Katalonien hat ein eigenes Parlament und eine eigene Regierung –, sieht er nicht ein. „Die Spanier“ würden sich dauernd einmischen, die Autonomie aushöhlen, klagt er. Vor allem aber fließe zu viel Geld aus der Region nach Madrid. Und das schmerzt ganz besonders in Krisenzeiten, die die Region stark zu spüren bekommen hat: Dass die Zentralregierung nichts von einer katalanischen Steuerautonomie wissen will, ärgert viele hier.

Der heftigste Crash mit Madrid steht aber noch bevor. Der konservative Ministerpräsident, Mariano Rajoy, will nun auch die für den 9.November angesetzte „undemokratische und niederträchtige“ Befragung zur Abspaltung verhindern. Er hat eine Klage angekündigt, das Verfassungsgericht wird daraufhin höchstwahrscheinlich die Abstimmung blockieren. Davor haben die Richter bereits ein ursprünglich für den 9.November geplantes Unabhängigkeitsreferendum suspendiert.

Der Streit über das Votum hat in den vergangenen Jahren die Unabhängigkeitsdebatte dominiert: 70Prozent der Katalanen wünschen sich eine Abstimmung, obwohl „nur“ etwa knapp die Hälfte sich für einen eigenen Staat aussprechen würde. Die separatistischen Parteien sehen darin das „demokratische Recht“ auf Meinungsäußerung, die Regierung (aber auch die oppositionellen Sozialisten) einen „illegalen Vorgang“, der gegen das verfassungsrechtliche Prinzip der „unantastbaren Einheit“ Spaniens verstoße. Über die Vorzüge eines Verbleibs in Spanien wurde indes kaum diskutiert.

„Da müssen wir noch einiges aufholen“, gesteht der konservative Regionalabgeordnete José Antonio Coto ein. Das Wort „illegal“ benützt aber auch er immer wieder: „Da gibt es keine Kompromisse, wir sind ein Rechtsstaat“, sagt er bestimmt. Der 28-Jährige glaubt zu wissen, warum sich so viele Jugendliche für den Unabhängigkeitstraum begeistern: Seine Generation sei durch die „Propaganda“ der regierenden CiU radikalisiert worden – diese erziehe durch „einseitigen Unterricht an Schulen“ und „die Kontrolle der Medien“ junge Katalanen zu „Spanien-Hassern“ heran. „Ich spreche daheim Katalanisch, bin trotzdem Spanier. Das ist kein Widerspruch.“ Dass seine eigene Partei mit ihrer Blockadehaltung Öl ins Feuer gießt, sieht er freilich nicht ein – ebenso wenig, dass sich Rajoy an seinem britischen Kollegen, David Cameron, ein Beispiel nehmen könnte, der immerhin die Schotten abstimmen ließ: „Damit hat Cameron die Separatisten legitimiert.“

2015 wird Schicksalsjahr

Die harte Linie aus Madrid scheint die Unabhängigkeitsbefürworter nicht abzuschrecken. Ricard Gené hat bereits Pläne, wie im Fall einer Klage die Katalanen trotzdem ihre „Befragung“ im November erreichen würden: „Es könnte eine von uns organisierte Unterschriftensammlung geben. Sie wird beweisen, wie vielen Menschen Madrid das Recht auf Meinungsäußerung verbietet.“

Doch das „heiße Jahr“ für die katalanische Causa dürfte 2015 werden: Bei geplanten plebiszitären Regionalneuwahlen wollen Unabhängigkeitsparteien gemeinsam kandidieren und so das Votum in ein indirektes Referendum verwandeln. „Dann könnte es zur Scheidung kommen, und das wird wohl keine einvernehmliche Trennung“, so Gené.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.10.2014)

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