Bolivien: Morales setzt ethnosozialistische Verfassung durch

(c) AP (Juan Karita)
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Eine neue Charta gewährt Indios neue Rechte und dem Präsidenten eine mögliche zweite Amtszeit.

BUENOS AIRES. „Ab heute ist der Kolonialstaat beendet. Ab heute sind innerer und äußerer Kolonialismus vorbei. Ab heute ist Schluss mit Neoliberalismus.“ Als Evo Morales seinen Anhängern am Sonntagabend diese Worte zurief, war die Gewissheit groß, dass die Bolivianer dem Verfassungsentwurf des Präsidenten zugestimmt hatten. Morales ist nach drei Amtsjahren, einer Volksabstimmung über seine Abwahl, einer Parlamentsblockade, vier Referenden über regionale Autonomie und bürgerkriegsähnlichen Zuständen mit über 25 Toten endlich am Ziel, das eigentlich der Anfang ist.

Eine „Neugründung Boliviens“ verheiße die neue Magna Carta, die allen 9,2 Millionen Einwohnern das Recht auf unentgeltliche Ernährung, Gesundheitsversorgung, Bildung, Arbeit, Rente, Trinkwasser und auf einen angemessenen Lohn einräumt. Über alle natürlichen Ressourcen wie Bodenschätze, Wasser, Luft, Erde und auch Koka soll der Staat allein gebieten. Und künftig ist Bolivien ein plurinationaler Staat, in dem neben Spanisch auch alle 36 im Lande gesprochenen indigenen Idiome zu offiziellen Sprachen erhoben werden. Die katholische Kirche verliert ihre staatstragende Rolle. Außerdem beschloss gestern eine deutliche Mehrheit, dass kein Bolivianer künftig mehr als 5000 Hektar Land besitzen darf.

Ablehnung im weißen Tiefland

Damit dürften sich die Morales-Gegner kaum abfinden. Denn in den Tiefland-Provinzen, wo wohlhabende weiße Großgrundbesitzer den Widerstand gegen den ersten indigenen Präsidenten des Kontinents anführen, ist der Verfassungsentwurf ebenso deutlich abgelehnt worden, wie er in den dichter besiedelten armen Hochlandregionen angenommen wurde.

Deswegen interpretierte Autonomisten-Führer Branko Marinkovich in der Oppositionshochburg Santa Cruz das Wahlergebnis als technisches Patt. Davon wollte Morales natürlich gar nichts wissen. Vom Balkon des Präsidentenpalast schmetterte er: „Hier gibt es kein Unentschieden. Hier gibt es nur einen Sieger: die neue Verfassung des bolivianischen Volkes.“

In Wahrheit heißt der Sieger Evo Morales, denn die neue Verfassung erlaubt erstmals die Wiederwahl des Präsidenten. Mit dem Referendum im Rücken will sich der Chef der „Bewegung zum Sozialismus“ bis Jahresende eine neue Amtszeit sichern. Der erste Verfassungsentwurf sah gar die unbegrenzte Wiederwahl vor, davon musste Morales abgehen, damit die Opposition das Referendum guthieß.

Aber das kann er in den kommenden Jahren noch ändern. Rat dafür spendet sicher Morales' großer Förderer aus Caracas. Am 15.Februar will sich Venezuelas Präsident Hugo Chávez seine unbegrenzte Wiederwahl an den Wahlurnen genehmigen lassen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.01.2009)

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