„Nicht genug Zeit, Geduld und Geld“

Afghanistans Präsident Karsai bläst ein schärferer Wind aus Washington entgegen. Nach Vorbild des Irak-Kriegs konzentrieren sich USA voll auf die Zerschlagung der al-Qaida und der Taliban.

WASHINGTON. Die Videokonferenzen, die das Weiße Haus regelmäßig mit dem afghanischen Präsidenten Hamid Karsai abgehalten hat, gehören der Vergangenheit an. Lange galt der gewandte, westlich geschulte Karsai mit seinem sanftmütigen Auftreten und dem gepflegten Englisch als Liebkind der Regierung Bush. Nun muss er nicht nur um seine Wiederwahl bei der einstweilen auf 20.August verschobenen Präsidentenwahl bangen, sondern sich auch auf einen schärferen Ton aus Washington gefasst machen. Ein „New-York-Times“-Artikel war nur der erste Schuss vor den Bug.

Irak-Krieg sekundär

In den kommenden Tagen wird sich der als ruppig bekannte neue US-Sonderbotschafter Richard Holbrooke ein Bild von der Lage machen, die die Politiker und Topmilitärs in der US-Hauptstadt seit Längerem alarmiert. Nach der Rückkehr von einer Stippvisite am Hindukusch sprach Vizepräsident Joe Biden kurz vor seinem Amtsantritt von einem „Schlamassel“. „Afghanistan ist unsere größte militärische Herausforderung“, sagte Verteidigungsminister Robert Gates vor einem Treffen der Militärspitze mit Präsident Obama im Pentagon. Vor der Auslandspresse bilanzierte Generalstabschef Mike Mullen jüngst: „Die Selbstmordattentate und die Terroranschläge sind um 40 Prozent gestiegen.“

Die Geduld Washingtons mit Karsai ist erschöpft. Auf allen Ebenen sei seine Regierung gescheitert, lautet das Resümee im Pentagon: Der Drogenschmuggel steht in Hochblüte, die Korruption floriert, und die Taliban haben beinahe ihre alte Schlagkraft wiedererlangt. Dass Karsai seines Halbbruders – einer Schlüsselfigur des Drogenhandels – trotz zahlreicher Warnungen nicht Herr werden konnte, kreiden ihm die US-Militärs persönlich an.

Die Nominierung des Exgenerals und Afghanistan-Kenners Karl Eikenberry zum neuen Botschafter in Kabul – eine eher ungewöhnliche Wahl – ist nur ein weiteres Indiz für eine Kehrtwende der US-Regierung, wie sie der Präsident im Wahlkampf angedeutet hat. Mehrfach hatte er den Krieg in Afghanistan zur obersten Priorität der US-Außenpolitik erklärt. Angesichts dessen rückt der Irak-Krieg ins zweite Glied. In Washington ist einzig der Zeitpunkt offen, wann der Abzug der US-Truppen denn nun genau beginnen soll.

In einer Parallelaktion hat Obama fest zugesagt, 30.000 US-Soldaten in die Schlacht gegen al-Qaida und Taliban zu werfen – eine Verdoppelung des bisherigen US-Kontingents. Das Pentagon kündigte an, bis zum Sommer zunächst bis zu 12.000 Soldaten nach Afghanistan zu verlegen.

Barack Obama verfolgt einerseits einen regionalen diplomatischen Ansatz, der vor allem Pakistan als Rückzugsgebiet und Brutstätte des Terrors, aber auch Iran und Indien inkludiert. Eine Kooperation des Iran könnte ein Testfall für mögliche US-Gespräche mit Teheran sein.

Die Militäroffensive spiegelt hingegen die Lehren des Irak-Kriegs wider: Eine Aufstockung der US-Truppen hat den Widerstand im „sunnitischen Dreieck“ weitgehend gebrochen. Manche Militärexperten prophezeien nun wieder einmal ein neues Vietnam. Die Topmilitärs schrauben die Ambitionen daher auch demonstrativ zurück. Verteidigungsminister Gates weiß um die begrenzte Kapazität: „Wir haben nicht genug Zeit, Geduld und Geld. Wenn wir uns das Ziel setzen, ein zentralasiatisches Walhalla zu schaffen, werden wir verlieren.“ Und auch Mullen konzediert: „Wir haben einsehen müssen, dass dem Militär Grenzen gesetzt sind.“

Arbeitsteilung mit Nato

Der Kurswechsel Washingtons impliziert eine Arbeitsteilung mit der Nato. Die USA konzentrieren sich in ihrer Militärstrategie darauf, lokale Führer und Warlords im Kampf gegen Taliban und al-Qaida einzubinden. Währenddessen sollen die europäischen Nato-Partner offenbar ihren Einsatz für den Wiederaufbau des Landes und der Zivilgesellschaft, für die Ausbildung von Polizei und Armee verstärken. Nachdem Versuche fehlgeschlagen sind, die Alliierten zu einem stärkeren Militärengagement zu drängen, sind sie jetzt mehr denn je als Finanziers gefragt. „Wir brauchen mehr von allem“, heißt es im Pentagon kryptisch. Als Prämisse formulieren die USA, dass die Hilfe auch außerhalb Kabuls ankommen soll.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.02.2009)

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