Der palästinensische Politiker Mustafa Barghouti steht Hamas und Fatah kritisch gegenüber.
Die Presse: Dr. Barghouti, die Kluft zwischen Hamas und Fatah scheint nach dem Gaza-Krieg noch tiefer zu sein als vorher. Halten Sie eine Versöhnung noch für möglich?
Mustafa Barghouti: Sicher. Beide Seiten haben verstanden, dass sie unter Besatzung leben. Ich glaube, dass (Palästinenserpräsident Mahmud) Abbas inzwischen weiß, dass er nichts von Israel zu erwarten hat, besonders jetzt, wo abzusehen ist, dass (Likud-Chef Benjamin) Netanjahu die Wahlen gewinnen wird. Die Hamas auf der anderen Seite musste einsehen, dass wir noch immer ein Land unter Besatzung sind und keine unabhängige Regierung haben. Ich glaube, dass diese Einsicht schon jetzt viele dazu bringt, ihre Haltung zu überdenken.
Worum geht es im Konflikt zwischen den Palästinenser-Fraktionen in Gaza, Hamas und Fatah?
Barghouti: Der Konflikt ist darauf zurückzuführen, dass wir in unserer Hoffnung, im Anschluss an den Osloer Friedensprozess einen eigenen Staat zu bekommen, enttäuscht wurden. Es gibt keinen Staat. Das führte einige Leute zu der Überzeugung, dass die Zeit für den Kampf noch nicht vorbei ist. Das ist die Streitfrage bei den internen Unstimmigkeiten.
Nur einmal angenommen, die inner-palästinensischen Versöhnungsgespräche führen nicht zu einem Ergebnis. Ist dann die Zwei-Staaten-Lösung noch relevant, oder sollten wir besser über drei Staaten reden?
Barghouti: Wir sollten über einen Staat reden. Einen Staat, in dem alle demokratische Rechte genießen. Ein Bürger – eine Stimme.
Es ist schon so schwierig, die Palästinenser zusammenzubringen. Was lässt Sie hoffen, es würde funktionieren, wenn man auch noch die Israelis dazunimmt?
Barghouti: Das Problem sind nicht die Palästinenser. Das Problem ist die Besatzung, und die hat angefangen, lange bevor die Hamas existierte. Wenn die Hamas morgen verschwindet, würde es übermorgen vielleicht eine andere Bewegung geben. Die Hauptsache ist die Ungerechtigkeit und die Unterdrückung in einem System, das schlimmer ist, als wir es aus dem Südafrika der Apartheid-Ära kennen.
Immer mehr Palästinenser in Gaza sehen die Lösung in einer Öffnung der Grenzen nach Süden, Richtung Ägypten. Wie realistisch ist das?
Barghouti: Es ist eine dumme Idee zu glauben, man könne die Westbank den Jordaniern in die Arme werfen und Gaza den Ägyptern. Es gibt zwei Wege: Entweder Israel wird zu den Grenzen von 1967 zurückkehren und sich aus dem Westjordanland und dem Gazastreifen zurückziehen, damit die Palästinenser dort ihren eigenen Staat gründen können. Oder es wird nur einen Staat geben, in dem beide Völker glücklich und friedlich zusammenleben.
Israel macht für eine Öffnung der Grenzen und damit der Lieferung von Baumaterial die Freilassung des entführten Soldaten Gilad Schalit zur Bedingung. Warum lässt die Hamas ihn nicht frei?
Barghouti: Er könnte heute noch freikommen, wenn Israel unsere Gefangenen freilässt. Wie konnte Israel 1350 Menschen töten, über 5000 verletzen, eine Situation schaffen, in der Zigtausende nicht mehr in ihren Wohnungen leben können, und dann die Lieferung von Baumaterial verhindern? Die Tatsache, dass Israel das Embargo aufrechterhält ist eine Verletzung der Menschlichkeit. Der Aufbau muss komplett entpolitisiert werden. Es ist nicht die Hamas, die leidet, sondern unschuldige Zivilisten.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.02.2009)