Israels „Refuseniks“ bläst ein eisiger Wind entgegen

Wer aus Gewissensgründen den Wehrdienst verweigert, lässt sich auf einen langen Zermürbungskrieg mit der Armee ein.

Wien/Jerusalem. Wer in Österreich nicht im Militär dienen will, landet etwa auf der Pflegestation – als Zivildiener. Wer in Israel den Wehrdienst verweigert, der landet im Gefängnis. Auch wenn sich die Armee bemüht, das Thema klein zu halten: Der jüngste Krieg im Gazastreifen hat die „Refuseniks“ wieder in die Schlagzeilen gebracht.

Mitte Jänner machte sich die 19-jährige Maya Yekhieli-Wind auf zur Armeebasis Tel Hashomer, um dort zu erklären, dass sie nicht „in einer Besatzungsarmee“ dienen wolle, „die in den vergangenen Wochen täglich Dutzende Menschen getötet hat“. Begleitet wurde sie von Raz Bar-David Veron, die zum vierten Mal verweigerte. Kaum entlassen, wurden sie gestern, Montag, erneut verurteilt: Maya zu 25 Tagen, Raz zu 30.

Drei Jahre Militärdienst für Männer, zwei für Frauen, das bleibt fast keinem erspart. Ausgenommen sind nur Ultraorthodoxe: Sie verweigern aus religiösen Gründen die Einberufung, manche lehnen aus denselben Gründen den Staat Israel überhaupt ab. Ausgenommen sind auch Israels Araber, rund ein Fünftel der Bevölkerung: Denen traut man nicht. Wer aber Gewissensgründen den Wehrdienst verweigert, der hat schlechte Karten.

„Ich kann da nicht mitmachen“

So wie die 18-jährige Sahar Vardi. Wie Maya und Raz hatte sie den Brief der „Shministim“ von 2008 unterschrieben: Gymnasiasten, die sich verpflichten, „Nein“ zu sagen, wenn die Einberufung kommt: „Ich war viel im Westjordanland und habe gesehen, was die Armee dort anrichtet. Für mich war klar, dass ich da nicht mitmachen kann“, erzählt Vardi im Gespräch mit der „Presse“. Drei Mal hat man ihr seither Gelegenheit gegeben, ihre Entscheidung zu überdenken – im Gefängnis, insgesamt mehr als 40 Tage. Die Armee setzt also auf Zermürbungstaktik. Da die Gesetzeslage eindeutig ist, können Leute wie Vardi nur darauf warten, „dass die Armee irgendwann genug von dir hat“. Nach mehreren Gefängnisaufenthalten gebe es meist die Möglichkeit, sich, auch aus psychischen Gründen, für untauglich erklären zu lassen: „Diese Hintertür lassen sie sich offen.“

Besser als jenen, die frisch eingezogen werden, erging es während des Gaza-Kriegs jenen Reservisten, die wegen dieser Militäraktion eine Rückkehr in die Reihen der Armee verweigerten: „Man schickte die meisten einfach heim und versuchte, Debatten aus dem Weg zu gehen“, sagt Ofer Neiman von der Wehrdienstverweigerer-Organisation Jesh Gvul, die 1982 während des ersten Libanon-Krieges gegründet wurde: „Je mehr Reservisten man eingesperrt hätte, weil sie aus Gewissensgründen nicht am Gaza-Krieg teilnehmen wollten, umso stärker wären deren Argumente in der Öffentlichkeit diskutiert worden. Und genau das will die Armee verhindern. Es ist auch eine PR-Sache.“

Feindselige Atmosphäre

Neben Jesh Gvul gibt es mittlerweile zahlreiche andere Organisationen, die „Refuseniks“ rechtlich (durch juristische Beratung) und moralisch (durch Solidaritätsmärsche) unterstützen, teilweise selbst aus Verweigerern bestehend. Die bekannteste ist „Courage to refuse“. In Kriegszeiten bläst den „Refuseniks“ ein besonders eisiger Wind entgegen: „Die Atmosphäre uns gegenüber ist da sehr feindselig, teilweise sogar gewalttätig“, berichtet Ofer Neiman. Sahar Vardi kann ein Lied davon singen: „Durch den Krieg ist das Verweigern definitiv schwieriger geworden.“ Besonders die Postings auf Zeitungsartikeln im Internet seien oft sehr aggressiv: „Da wird dann gefordert, dass man Leuten wie mir die Staatsbürgerschaft entzieht.“

Denn für nicht wenige Israelis sind sie schlicht und einfach Verräter. Die „Shministim“ sehen hingegen Staat und Gesellschaft auf Abwegen. In dem Brief, den eine frühere Shministim-Generation 2005 an den damaligen Premier Ariel Scharon schickte, heißt es: „Die Besatzung hat Israel korrumpiert und in eine militaristische, rassistische, chauvinistische und gewalttätige Gesellschaft verwandelt.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.02.2009)

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