China: „Das schwerste Jahr seit 2000“

Bauer sammelt Holz
Bauer sammelt Holz(c) REUTERS (DAVID GRAY)
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Die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise ist in China angekommen. Das Wachstum sackte im letzten Quartal auf 6,8 Prozent ab. Nun rächt sich die Vernachlässigung der ländlichen Regionen.

Peking. Eine Woche nach dem Frühlingsfest ist der Kampf gegen die bösen Geister noch immer in vollem Schwung: Über den Städten und Dörfern Chinas grollt allabendlich der Himmel. Die Bewohner scheuen keine Kosten und zünden Millionen Kracher und Leuchtraketen, um das Unglück zu vertreiben.

Das ist wohl auch nötig, denn die Voraussagen für das Jahr des Ochsen, das am 26. Januar begonnen hat, sind bedrückend: 2009 wird für China das „schwerste Jahr seit der Jahrtausendwende“, warnten jetzt Regierung und KP-Zentralkomitee in einer gemeinsamen Erklärung. Die Pekinger Funktionäre machen sich vor allem Sorgen über die Lage auf dem Lande: Die lokalen Behörden müssten, so heißt es in dem Dokument, sich völlig über die Krise und die Schwierigkeiten“ bewusst sein, die „uns bevorstehen“, und vor allem verhindern, dass die Bauern weniger Geld verdienen und weniger Getreide produzieren.

Die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise ist in China angekommen. Vorbei scheinen vorerst die Boom-Jahre, die Zeiten, in denen es ständig aufwärtsging. Das Wachstum sackte im letzten Quartal auf 6,8 Prozent ab – eine immer noch stolze Zahl, aber sie ist zu klein, um genug Arbeiter, Schul- und Universitätsabgänger in Lohn und Brot zu halten oder zu bringen. Nach allgemeiner Ansicht sind jedes Jahr mindestens acht Prozent Wachstum nötig, um genug Arbeitsplätze zu schaffen und soziale Unruhen zu verhindern.

Vulkanische Wirtschaftseruption

Längst vorbei sind die Zeiten, als chinesische Politiker und Geschäftsleute glaubten, halbwegs ungeschoren aus der internationalen Finanzkrise herauszukommen. Die renommierte Pekinger Finanzzeitung „Caijing“ spricht bereits von einer „wirtschaftlichen Eruption vulkanischen Ausmaßes“, mit der die Unternehmen in wichtigen Industrieregionen des Landes – etwa am Perlfluss und am Yangtse– fertig werden müssen.

Chinas Premierminister Wen Jiabao und andere hohe KP-Funktionäre sind in den vergangenen Wochen durch die Provinzen gezogen, um den örtlichen Politikern Dampf zu machen, die Geschäfte so schnell wie möglich anzukurbeln. Dafür sollen enorme Summen ausgegeben werden: Bereits im November hatte die Regierung ein Konjunkturpaket von viertausend Milliarden Yuan (rund 480 Milliarden Euro) angekündigt, das überwiegend von den Provinzen, Staatsunternehmen und großen Banken geschnürt werden soll. Zudem spendierte Peking jetzt für jeden der über 70 Millionen der Ärmsten zwischen 100 und 150 Yuan (zwischen 11,5 und 17 Euro) in bar. Einige bekamen ein paar Säcke Reis, Speiseöl und Fisch dazu.

Nun müssen die Bauern und Wanderarbeiter, Stütze und Motor des Aufschwunges, beruhigt werden. Dazu zählen bessere Krankenversicherungen, Schulprogramme, bessere Straßen. In einem neuen Dokument wird vor „sozialen Konflikten“, die durch Umweltverschmutzung und „Landnahmen“ ausgelöst werden könnten, gewarnt: „Wir müssen das Netz der öffentlichen Sicherheit stärken und verhindern, dass feindliche Kräfte Religion benutzen, um die Landgemeinden zu infiltrieren.“

Jetzt rächt sich, dass die Regierung die Dörfer und die Landwirtschaft in den vergangenen Jahrzehnten stark vernachlässigt hat und stattdessen in die Städte und Industriezonen investierte.

Ihre Einkommen sind viel geringer als die der Städter. So verdienten die Stadtbewohner 2008 durchschnittlich 15.800 Yuan pro Jahr (etwa 1800 €). Die Bauern kamen im Schnitt auf nur 4700 Yuan (ca. 537 €).

Anzeichen für Kapitalflucht

Was die Situation noch brisanter und die Gefahr von Unruhen noch größer macht, ist ein noch aus Maos Zeiten stammenden System, das den Dorfbewohnern und den Städtern unterschiedliche Bürgerrechte verleiht: Nur registrierte „Städter“ besitzen Anrecht auf eine Rente und auf medizinische Versorgung in städtischen Kliniken. Dafür dürfen die Landbewohner Äcker und Felder bestellen, lautet die Begründung. Wer arbeitslos werde, könne zurück ins Dorf. Doch nicht selten gibt das Land nichts her. „Dorthin kann ich nicht zurück“, sagt Wanderarbeiter Wang Chao aus der Provinz Anhui. „Davon können wir nicht leben.“

Ein weiterer Indikator für das wirtschaftliche Erlahmen des chinesischen Drachen ist die Tatsache, dass im letzten Quartal des vergangenen Jahres ein Kapitalabfluss von umgerechnet 188 Milliarden Euro zu beobachten war. Wie die „New York Times“ berichtet, ist gleichzeitig die Akkumulation von Devisenreserven im Laufe des vergangenen Jahres um 74 Prozent gefallen und erreichte im vierten Quartal 2008 mit umgerechnet 31,7Milliarden Euro den tiefsten Stand seit 2004.

HINTERGRUND

Konjunkturpaket: Die Regierung in Peking und die Regionalregierungen wollen insgesamt 1,2 Billionen Euro in die Wirtschaft pumpen.

Wanderarbeiter: Gut 15 Prozent der insgesamt rund 130 Millionen chinesischen Wanderarbeiter haben ihre Stelle verloren.

Wirtschaftswachstum: Chinas Wirtschaftsleistung war im Schlussquartal 2008 auf 6,8 Prozent geschrumpft (für das Jahr betrug das Wachstum 9,0 Prozent).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.02.2009)

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