„Japan ist reif für die Revolution“

(c) EPA (Laurent Gillieron)
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Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt steckt tief in der Rezession. Statt für Stabilität zu sorgen, fährt Premier Aso einen extremen Zickzackkurs. Die Japaner wollen ihn nur noch loswerden.

Tokio. Dass Japan in der tiefsten Rezession aller Industriestaaten steckt, ist eine gute Nachricht – zumindest für Koki Ando, Chef der Firma „Nissan Foods“, einem Hersteller von Fertignudelgerichten: „Unser Geschäft wächst, wenn es mit der Wirtschaft bergab geht“, freut sich Ando: Denn um zu sparen, würden viele Menschen nun auf Fertigprodukte umsteigen.

Armut ist in Japan ein Thema geworden. Ein Thema, das sich nicht mehr verstecken lässt, wie der Fall jener rund 500 Arbeits- und Obdachlosen zeigte, die rund um Neujahr in einem Tokioter Park campierten, nachdem sie ihre Jobs verloren hatten.

In solchen Zeiten bräuchte der Staat eine starke Führung. Doch die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt ist politisch fast gelähmt, weil die Regierung von Premier Taro Aso einen schwindelerregenden Zickzackkurs fährt. „So schlecht wurde Japan noch nie regiert,“ empört sich Nagayoshi Miyata, Chefrepräsentant der Deutschen Börse in Tokio. Aso, der erst im September 2008 als Hoffnungsträger der Liberal-Demokratischen Partei das Ruder übernahm, erweise sich als ein „im Sturm schwankender Bambus“, klagt LDP-Sympathisant Miyata.

Einmal will er jedem Japaner 100 Euro schenken, mit freundlicher Empfehlung, das Geld schnellstens wieder auszugeben. Dann droht er der von Arbeitslosigkeit und Existenzängsten zutiefst verunsicherten Bevölkerung eine Verdoppelung der Mehrwertsteuer an, sollte es in drei Jahren besser gehen. Neuerdings kursiert sogar das ökonomisch total verrückte Gerücht, die Regierung wolle mehrere hundert Billionen Yen „ungedecktes Geld“ drucken, um die Konjunktur mit einer dramatischen Inflation anzukurbeln und gleichzeitig die Staatsschulden zu vertuschen.

„Nutzlose Esser und Trinker“

Simultan verprellt der 68-jährige Premier ganze Wählergruppen mit seiner lockeren Zunge. Pensionisten nannte er „nutzlose Esser und Trinker“, Ärzten warf er „mangelnde soziale Verantwortung“ vor. Derzeit legt er sich mit der fast allmächtigen Bürokratie an, die in Japan eigentlich das Sagen hat. Er will Top-Beamten verbieten, im Vorruhestand hochbezahlte Posten in der Privatwirtschaft oder in staatlichen Firmen anzunehmen. Davon erhofft er sich Sympathien bei Normalverdienern, die sich am Stammtisch gern über diese Form öffentlich sanktionierter Bereicherung aufregen.

Bisher hat der Kampf gegen die Bürokratie aber nur dazu geführt, dass Behörden wie das Finanzministerium Anweisungen des Kabinetts einfach verschleppen oder ignorieren, und damit die Verwaltung an den Rand des Herzstillstands führen. Taro Aso macht quasi alles falsch – so jedenfalls denken etwa vier von fünf Wählern. Mehr als 80 Prozent der Japaner möchte den Erfolglosen sofort loswerden, sagen Umfragen.

Selbst die PR-Maschine kapituliert: „Die negative Meinung über Aso und sein arrogantes Benehmen schlagen alle Negativrekorde“, konstatiert ein früherer Regierungssprecher. Ein besonderer Flop ist die Idee, allen Japanern ohne Ansehen von Einkommen oder Vermögen 100 Euro „Konsumbeihilfe“ auszahlen zu lassen. Über 70 Prozent der Bevölkerung lehnt diese umgerechnet mehr als 15 Milliarden Euro teure Finanzspritze als „ökonomischen Unsinn“ ab und fordert, das Geld solle für soziale Zwecke verwendet werden. Aber der Premier hält eisern daran fest. Bisher haben sich 15 Minister auf sein Geheiß verpflichtet, das Geld anzunehmen – auch Aso selbst, der gern mit seinem Millionenvermögen prahlt.

„Leider hat die LDP unter Aso die Verbindung zu den Menschen völlig verloren“ beklagt der Ex-Minister Watanabe, der aus Protest kürzlich aus der LDP austrat. Beobachter rechnen damit, dass dem prominenten Abgeordneten weitere LDP-Parlamentarier folgen werden. Dann könnte die Regierung ihre Mehrheit im Unterhaus verlieren – das Oberhaus beherrscht ohnehin die Opposition.

Die Premiers kamen und gingen zuletzt wie durch eine Drehtür. In den vergangenen 30 Monaten haben zwei Ministerpräsidenten der LDP wegen Erfolglosigkeit das Handtuch geworfen. Taro Aso, vermuten Beobachter, ist spätestens nach einer Niederlage bei den regulären Wahlen im Herbst an der Reihe. Alle drei dann Gescheiterten sind Söhne oder Enkel von Regierungschefs, die Japans Ökonomie an die Weltspitze geführt haben: „Die Erben aus der nächsten Generation erweisen sich als politisch impotent“, sagt Jesper Koll, Chef des Forschungsinstituts Tantalon.

Karussell gescheiterter Premiers

Bisher wich Aso Neuwahlen aus, „um in der Rezession politische Stabilität zu wahren“. Der wahre Grund dürfte ein anderer sein: Japans Medien rechnen damit, dass die seit mehr als fünf Dekaden quasi ununterbrochen regierende LDP ihre Mehrheit im Unterhaus verliert, sogar ein politischer Erdrutsch ist möglich. „Der Druck kommt von allen Seiten: Dem Kapital geht es schlecht, der Arbeit geht es schlecht“, sagt Jesper Koll. „Japan ist reif für eine Revolution.“

LEXIKON

Die Liberal-Demokraten (LDP) regieren Japan seit ihrer Gründung 1955 fast ununterbrochen. Die konservative Partei wird derzeit vom glücklosen Premier Taro Aso geleitet. Den letzten großen Erfolg fuhr der gegenüber China und Südkorea forsch auftretende Premier Koizumi bei der Wahl 2005 ein. Seither ging es mit der Partei steil bergab. Aso ist bereits der dritte Premier nach Koizumi.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.02.2009)

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