"Ja" der Schweizer rettet Vertragswerk mit der EU

Micheline Calmy-Rey, Eveline Widmer-Schlumpf, Doris Leuthard
Micheline Calmy-Rey, Eveline Widmer-Schlumpf, Doris Leuthard(c) Reuters (Michael Buholzer)
  • Drucken

Freier Personenverkehr auch für Rumänen und Bulgaren. Im Wahlkampf vor der Abstimmung hatten die Gegner der Ausweitung des Abkommens auf Plakaten ein drastisches Bild gemalt.

BERN. Die Abstimmung war mit großer Spannung erwartet worden. Denn ein Nein der Schweizer Bevölkerung hätte nichts Geringeres bedeutet als das Aus für alle bisherigen Verträge das Landes mit der Europäischen Union. Doch die Eidgenossen stimmten bei dem Referendum am Sonntag mit 59,6 Prozent klar für die Verlängerung und Ausweitung ihres Freizügigkeitsabkommens mit der EU.

Das Abkommen ist Teil eines über Jahre hinweg mit der EU ausgehandelten Vertragswerkes. Es ermöglicht der Schweizer Wirtschaft den schrankenlosen Zugang zum EU-Markt und EU-Ausländern Zugang zum Schweizer Arbeitsmarkt. Dazu kommt auch der freie Personenverkehr zwischen der Schweiz und der EU. Das soll – gemäß Ausgang der Volksabstimmung – jetzt auch schrittweise auf die neuen EU-Staaten Bulgarien und Rumänien ausgedehnt werden. Genau das hatte die rechte Schweizerische Volkspartei (SVP) jedoch verhindern wollen. Sie hatte mit einer Unterschriftensammlung das Referendum überhaupt erst erzwungen. Doch die Reihen der Partei waren nicht geschlossen. Der starke Wirtschaftsflügel machte sich für das Abkommen mit der EU stark.

Im Wahlkampf vor der Abstimmung hatten die Gegner der Ausweitung des Freizügigkeitsabkommens auf Plakaten ein drastisches Bild gemalt: Schwarze Raben hacken auf die Schweiz ein. „Es gibt mehr Arbeitslose und die Sozialkassen werden ruiniert“, wetterten sie: „Es droht eine Masseneinwanderung.“ Die Schweizer Wirtschaft werde geschwächt.

Die emotional geführte Debatte richtete sich aber nicht nur gegen die Bürger aus Rumänien und Bulgarien. Sie zielte auch auf die Angst vieler Schweizer ab, wegen der Wirtschaftskrise ihren Job an gut ausgebildete Arbeitnehmer aus allen EU-Staaten – etwa auch aus Deutschland – zu verlieren.

Ärger über Deutsche

Ein Magnet für Einwanderer aus Deutschland ist der Kanton Zürich, das Zentrum der Schweizer Wirtschaft. Mit 66.000 Personen stellen die Deutschen in diesem Kanton die größte Ausländergruppe. An der Universität Zürich stammt jeder dritte Professor aus dem nördlichen Nachbarland. „Wie viele Deutsche erträgt Zürich?“, sorgte sich bereits die Stadtzeitung „Tages-Anzeiger“. Die Eidgenossen ärgern sich etwa über das forsche Auftreten der Deutschen und fühlen sich wegen ihres eigenen behäbigen Dialektes bei Diskussionen im Nachteil.

Dass die Schweizer trotz dieser Ängste mit Ja stimmten, ist ein großer Erfolg der Befürworter der Ausweitung der Personenfreizügigkeit. Wirtschaft, Gewerkschaften sowie die bürgerlichen Regierungsparteien FDP, CVP und die Sozialdemokraten hatten am gleichen Strang gezogen und mit Parolen wie „Nein schafft Unsicherheit“ geworben. Die Verträge mit der EU seien das „Öl im Motor der Beziehungen mit unseren wichtigsten Handelspartnern“.

Eine sogenannte „Guillotine“-Klausel im Vertragswerk mit der EU sieht vor, dass bei einem Volks-Nein alle Abkommen mit der Union hinfällig gewesen wären. Davon wäre auch ein Transitabkommen betroffen gewesen, was zu einem Anstieg des Transitverkehrs durch Österreich hätte führen können.

„Drohungen der Befürworter“

SVP-Präsident Toni Brunner bedauerte am Sonntag den Ausgang der Abstimmung. Die Frage sei nun, ob sich das Volk den „massiven Drohungen der Befürworter“ gebeugt habe. Die SVP habe jedenfalls „allein auf weiter Flur gegen eine gewaltige Phalanx von Befürwortern gekämpft“. Er sei überzeugt, dass aufgrund des Volksentscheides die Arbeitslosigkeit in der Schweiz weiter steigen werde, sagte Brunner.

AUF EINEN BLICK

Die Schweizer stimmten für eine Verlängerung und Ausweitung der Personenfreizügigkeit mit der EU. Damit wird das Abkommen schrittweise auf Bürger der neuen EU-Staaten Rumänien und Bulgarien ausgeweitet. Ein Nein hätte zu einem Aus für alle Verträge mit der EU geführt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.02.2009)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.