Ostukraine: Pseudowahl unter Granatbeschuss

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Am Sonntag lassen die selbst ernannten Führungen der „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk neue Parlamente wählen. Die Abstimmung wird international nicht anerkannt.

Kiew/Warschau. Sie werfen eine Friedenstaube in die Höhe, recken die Hände zum Himmel und lachen. „Die Wahl des Donbass – wir stimmen für die Zukunft!“, heißt es auf dem Wahlplakat der selbst ernannten, prorussischen Volksrepublik Donezk. „Unsere Heimat – Friede und Blüte!“, steht auf einem anderen Transparent. Welche Partei hinter der Wahlwerbung steht, ist unklar. Die beiden von den prorussischen Rebellen gehaltenen Gebiete in den ukrainischen Verwaltungsbezirken Donezk und Luhansk halten am kommenden Sonntag eigene Wahlen für ihre Parlamente und Regierungen ab.

„Was für Wahlen sollen das denn sein? Es sind ja fast alle geflohen!“, empört sich Olena S. Die junge Wirtschaftsstudentin ist erst im Sommer aus Donezk in die ukrainische Hauptstadt, Kiew, geflohen. „Die meisten meiner Mitstudenten sind weg“, erzählt sie, „wer russische Verwandte hat, ging dorthin, die anderen sind hier in der Ukraine.“ Viele Familien im Donbass sind gemischt. Denn in der Sowjetunion wurden in dem Kohlebecken besonders viele Grubenarbeiter und Ingenieure aus Russland angesiedelt. „Ich bin dauernd mit jenen, die geblieben sind, in Kontakt“, sagte Olena, „doch zu dieser Wahl geht wohl keiner meiner Bekannten hin.“

Scheint die Beteiligung an den gemäß ukrainischer Verfassung illegalen Referenden über die Unabhängigkeit in Donezk und Luhansk noch verhältnismäßig hoch, hat sich inzwischen laut vielen Flüchtlingen aus dem Donbass in Kiew die Stimmung gewendet. Statt Unabhängigkeit kamen Zerstörung und Tod über das Gebiet. „Ich habe überall Leichenberge gesehen“, sagt ein älterer Mann aus dem Donezker Vorort Marinka vor der barocken Andreaskirche im Zentrum Kiews. An der Kirchenmauer hat die Armee hunderte Porträts ihrer im Donbass gefallenen Soldaten anbringen lassen. Offiziell ist von insgesamt rund 3300 Toten der seit April andauernden Kämpfe zwischen prorussischen Separatisten und ukrainischen Regierungstruppen die Rede. Er bereite sich auf die Verteidigung vor und führe gleichzeitig Wahlkampf, erzählte der selbst ernannte Premierminister der Volksrepublik Donezk, Aleksandr Sachartschenko, russischen Nachrichtenagenturen. „Faktisch gab es keine Waffenruhe. Die Angriffe auf unsere Städte gehen weiter.“
Dabei lässt er unerwähnt, dass seine Kämpfer mithilfe russischer Soldaten seit den Waffenstillstandsvereinbarungen von Minsk vom 5. September fast täglich den noch von Kiewer Regierungstruppen gehaltenen internationalen Flughafen mit schwerer Artillerie beschießen. Auch eine Eroberung der Hafenstadt Mariupol kündigte Sachartschenko zuletzt an.

Blutige Abrechnungen

Neben Sachartschenkos auf den Wahlplakaten unbenannter Staatspartei tritt in Donezk am Sonntag auch die Kommunistische Partei der Volksrepublik Donezk an. Da die Bevölkerung nach der Flucht vieler Studenten und junger Familien überaltert ist, dürfte sie bei den gemäß der Verfassung illegalen und international nicht anerkannten Wahlen einen Achtungserfolg erreichen. Die Partei Neurussland des einstigen „Volkspremiers“ Pawel Gubarow, der im April als Erster die Unabhängigkeit ausgerufen hatte, wurde zur Wahl nicht zugelassen. Seit einem Anschlag auf seinen Dienstwagen vor ein paar Wochen soll Gubarow in Russland im Spital weilen.

Die blutigen Abrechnungen unter den Separatisten zeigen, dass die umstrittene Wahl kaum von allen prorussischen Feldkommandanten anerkannt werden, schätzen westliche Diplomaten in Kiew im persönlichen Gespräch die Lage in den beiden Volksrepubliken Donezk und Luhansk ein. Auch Letztere will am Sonntag ihr eigenes Parlament wählen.

Auf einen Blick

Die separatistischen Gebiete im Osten der Ukraine wollen an diesem Sonntag neue Anführer und Volksvertretungen wählen – gegen den Widerstand der Regierung in Kiew. Kiew will Kommunalwahlen am 7. Dezember durchführen, kontrolliert das Gebiet aber nicht. In den selbst ernannten Volksrepubliken wurde die ukrainische Parlamentswahl vom vergangenen Sonntag nicht zugelassen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.10.2014)

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