Das Attentat auf einen radikalen jüdischen Prediger könnte in Jerusalem zu schweren Unruhen führen. Das kurzfristig gesperrte Areal wurde am Abend aber teilweise wieder geöffnet.
Unter den ultranationalistischen Predigern und Feuerköpfen, an denen in Israel kein Mangel herrscht, galt Jehuda Glick als der radikalste. Der großgewachsene Rotschopf, vor neun Jahren aus den USA eingewandert, erhob den Tempelberg in Jerusalem zu seinem Lebenszweck, wie er jüngst in einem Interview eingestand: „Der Tempelberg ist die Quelle meines Lebens und auch die Quelle meines Lebensunterhalts.“ Zahllose Male war er in seiner Mission, sich einen Platz auf dem Plateau des Felsendoms – des muslimischen Heiligtums – zu erstreiten, verhaftet worden. Nichts konnte ihn abhalten, mit einem Hungerstreik an der Klagemauer erzwang er die Aufhebung seiner Verbannung.
Sein Eiferertum könnte Glick nun zum Verhängnis werden – und Israel in eine neue Krise stürzen. Nachdem der 49-Jährige am Mittwochabend im Menachem-Begin-Zentrum eine Rede zum Thema „Israels Rückkehr auf den Tempelberg“ gehalten hatte, streckte ihn ein Küchenmitarbeiter des Zentrums mit vier Schüssen nieder. Am Donnerstagabend schwebte Glick weiter in Lebensgefahr, sein Attentäter war da bereits tot. Israelische Sicherheitskräfte hatten den 32-Jährigen in einer groß angelegten Suchaktion in seinem Elternhaus gestellt und getötet.
Tränengas gegen Demonstranten
Noch am Donnerstag flackerten die Unruhen auf, die Polizei setzte Tränengas gegen die Steine werfenden palästinensischen Demonstranten ein. In der Hauptstadt herrscht ohnedies seit Wochen eine angespannte Stimmung. Erstmals seit 14 Jahren wurde am Donnerstag der Tempelberg für Stunden komplett gesperrt. Am Abend wurde die Maßnahme teilweise wieder aufgehoben, Männer unter 50 Jahren erhielten allerdings weiterhin keinen Zugang. Im Jahr 2000 war nach einem demonstrativen Besuch des damaligen Oppositionschefs Ariel Scharon auf dem Tempelberg die zweite Intifada ausgebrochen. Nun raunen manche vom Beginn einer neuen Intifada.
Der Attentäter kannte Glick offenbar persönlich. Onlineberichten des der Siedlerbewegung nahestehenden Radiosenders Arutz 7 zufolge hatte Glick mehrmals wegen Morddrohungen gegen ihn bei der Polizei vorgesprochen. Der Sender berichtet über Internetseiten des Islamischen Jihad, die Fotos von Glick gezeigt und ihn als „Siedler-Anführer“ bezeichnet haben, der eine „Masseninvasion“ plane, um „mit tausenden Juden die Muslime vom Tempelberg zu vertreiben“. Der Islamische Jihad habe dem Bericht zufolge die Verantwortung für den Mordversuch übernommen.
Abbas spricht von "Kriegserklärung"
Der Tempelberg wird von beiden Religionen beansprucht. Immer wieder kommt es hier zu Auseinandersetzungen. Die Frage, wer die Oberaufsicht behalten soll, ist einer der Knackpunkte bei den Nahost-Friedensverhandlungen. Die Zugänge zum Gelände des Tempelbergs stehen unter strikter Sicherheitskontrolle der israelischen Armee. Für das Gelände selbst ist die Wakf zuständig, eine Stiftung des islamischen Rechts, wobei das letzte Wort beim jordanischen Königshaus liegt. Zentraler Grund der sich seit Wochen zuspitzenden Anspannung in Jerusalem ist der Versuch von radikal-jüdischen Gruppen, das alleinige Gebetsrecht von Muslimen auf dem Tempelberg zu durchbrechen.
Mustafa Abu Sway, Islamwissenschaftler an der al-Quds-Universität, macht Israel dafür verantwortlich, sicherzustellen, „dass nur Muslime in der Al-Aqsa-Moschee beten dürfen“. Die Besatzungsmacht habe dafür zu sorgen, dass der Status quo erhalten bleibt, meint er. Die partielle Schließung des Gebetshauses empfand der Islamwissenschaftler als „Staatsterrorismus“ und „Religionskrieg“. Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas sprach von einer „Kriegserklärung“.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.10.2014)