China: „Was wollen diese Tibeter eigentlich?“

(c) Reuters (Adnan Abidi)
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Nervosität vor dem 50. Jahrestag des tibetischen Aufstandes: Peking verstärkt die Truppen-Präsenz in Tibet. Die Kampagne zur „patriotischen Erziehung“ in den Dörfern und Klöstern läuft auf Hochtouren.

Da ist er wieder – der schrille Schrei, den die Pekingerin Wen Juan im Vorjahr zum ersten Mal im TV gehört hat. Tibetische Männer, darunter Mönche, attackierten am 14. März in den Straßen Lhasas ihre aus anderen Teilen Chinas zugewanderten Landsleute.

Manche schlugen mit Macheten und Knüppeln auf ihre Opfer ein – und stets stießen sie diese fremden Kampfrufe aus. 19 Menschen kamen nach Angaben der Behörden ums Leben. Bei den folgenden Unruhen und der Verfolgung von Protestierenden durch Armee und Polizei sollen weit über hundert Personen gestorben sein, berichten Exiltibeter. Die Behörden haben inzwischen 76 „Unruhestifter“ verurteilt, mehr als 1200 wurden angeklagt.

Fast ein Jahr später schaut die 27-jährige Wen im Nationalitätenpalast in Peking auf einen Videoschirm. Gemeinsam mit Schülergruppen, Rentnerpaaren und Funktionären sieht sie erneut die Bilder der Unruhen: „Ich kann nicht verstehen, was die Tibeter dazu getrieben hat, aber ich bin sehr enttäuscht von ihnen. Wir Chinesen haben uns so viel Mühe gegeben.“ Der Videofilm ist Teil der Sonderausstellung „50. Jahrestag der Demokratie in Tibet“, eine der vielen Propagandaveranstaltungen, mit denen Peking seine Tibet-Politik rechtfertigt.

Angst vor Aufständen

Vor 50 Jahren, am 10. März 1959, begann der Aufstand gegen die chinesische Armee, eine Woche später flüchtete der Dalai Lama ins indische Exil. Beim 30. Jubiläum schossen Soldaten in Lhasa auf demonstrierende Mönche und Nonnen. Nun fürchtet Peking neue Aufstände und hat die Polizei- und Militärpräsenz massiv aufgestockt. Gleichzeitig will die KP den Kampf um die Erinnerung und die Deutung der Vergangenheit endgültig für sich entscheiden: Im Nationalitätenpalast wandern die Besucher an alten Dokumenten, Fotos und Folterinstrumenten vorbei, die von der Grausamkeit des alten Regimes der Klöster und des Adels künden sollen. Auch anderswo ist Tibet präsent: Die Kinos müssen den 15-minütigen Streifen „Tibet einst und heute“ als Vorfilm zeigen.

Und in Talkshows erinnern Experten an Armut und Sklaverei im alten Tibet und an die Fortschritte, die Chinas Lehrer, Bausoldaten, Ingenieure und Ärzte seit den 50er-Jahren gebracht haben. Ehemalige Leibeigene berichten vom Glück der Befreiung durch die Kommunistische Partei und ihre Armee, die 1951 ins „Land des Schnees“ einmarschiert ist. In den Zeitungen erscheinen derweil bunte Fotos fröhlicher tibetischer Familien, die mit Pekinger KP-Kadern das tibetische Neujahr feiern, das am 26. Februar begann.

„Marionette des Auslands“

Die Botschaft ist immer gleich, sie ist schlicht, ohne Zwischentöne, ohne Zweifel: „Vor 1959 war die tibetische Gesellschaft dunkel und grausam“, heißt es in der Tibet-Ausstellung. So hat es auch Wen Juan in der Schule gelernt: „Das war so klar wie das Einmaleins: Erstens gehört Tibet von alters her zu China. Zweitens haben wir die Tibeter aus der Sklaverei errettet. Drittens hätten die sich ohne unsere Hilfe nie so weit entwickeln können.“

Für die Rebellionen der Vergangenheit gibt es stets eine einfache Erklärung: Mönche und Adlige im Exil nutzten die tiefe Religiosität der Tibeter aus, um sie gegen China aufzustacheln. Ihr Ziel sei die Rückkehr zum Feudalismus. Der Respekt, den der Dalai Lama im Ausland genießt, beweise nur, dass der 73-Jährige eine „Marionette“ ausländischer Mächte sei, die ein starkes und einiges China verhindern wollten.

Die Kampagne zur „patriotischen Erziehung“ in den Dörfern und Klöstern läuft derweil auf Hochtouren. Die Teilnehmer müssen ihre Treue gegenüber Peking bekunden und den Dalai Lama verurteilen. Trotzdem kommt es immer wieder zu Protesten. Vor dem Kloster Kirti in der Provinz Sichuan zündete sich kürzlich ein Mönch an, wie die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua bestätigte. Exiltibetische Gruppen berichteten, der Brennende sei von der Polizei erschossen worden. Hunderte Mönche gingen kurz darauf auf die Straße. Auch andernorts soll es zu Kundgebungen gekommen sein.

Wen Juan hat in den Medien nichts von den Hintergründen erfahren. Webseiten der Exiltibeter und tibetischer Bürgerrechtsorganisationen sind blockiert. „Manchmal frage ich mich, was die Tibeter eigentlich wollen“, sagt Wen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.03.2009)

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