"Der Deutsche will unendliche Gerechtigkeit"

Die Presse
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Schleswig-Holsteins SPD-Ministerpräsident, Torsten Albig, geißelt im Interview die PKW-Maut-Pläne der CSU und kündigt seine Ablehnung im Bundesrat an. Die rot-rote Regierung in Thüringen verteidigt er.

Die Presse: Manchen dreht es den Magen um, wenn die Linkspartei in Thüringen den Ministerpräsidenten stellem soll.
Torsten Albig: Den Menschen in Thüringen geht es mehrheitlich nicht so. Ich verabscheue zutiefst den Unrechtsstaat DDR, der seine Bürger überwachte und einsperrte. Doch 25 Jahre nach dem Mauerfall entspricht es nicht mehr der Realität, so zu tun, als sei Die Linke identisch mit der SED. Die Linke ist in Brandenburg an der Regierung, stellt Bürgermeister in vielen Städten. Das ist die demokratische Normalität in Deutschland. Dazu gehört auch zu akzeptieren, dass die Bürger in Thüringen einen Politiker der Linken als Ministerpräsidenten mittlerweile für normal halten. Ich hielte es persönlich für schwer erträglich, ehemalige SED-Kader oder Stasi-Spitzel zu Ministerpräsidenten zu wählen. Doch Bodo Ramelow, ein Gewerkschafter aus Niedersachsen, hat doch einen völlig anderen Hintergrund.

Er vielleicht, viele in seiner Partei nicht.
Ja, aber ich käme auch nicht auf die Idee, Angela Merkel vorzuwerfen dass die CDU Blockpartei in Ostdeutschland war.

Der nächste logische Schritt wäre eine rot-rote Koalition auf Bundesebene.
Es kann und darf in Deutschland Koalitionen jenseits der Faschisten zwischen allen demokratischen Parteien geben. Auch mit der Linken. Es sollte nie wieder eine Diskussion geben, dass die SPD nicht mit der Linken koalieren darf. Allerdings: Mit dieser Linken, wie sie heute inhaltlich auf Bundesebene aufgestellt ist, kann ich keine ausreichenden Gemeinsamkeiten für Koalitionsverträge erkennen. Sie ist unser politischer Gegner.

In Ihrer Partei sehe ich auch originelle Strömungen. Matthias Platzeck, Ex-SPD-Chef und Ex-Ministerpräsident von Brandenburg schlug vor, die Annexion der Krim anzuerkennen.
ch kenne den Vorschlag nicht und kann daher nichts dazu sagen. Aber Deutschland hat seine Möglichkeiten, eine Mittlerrolle zwischen der angelsächsischen und osteuropäischen Welt einzunehmen, noch nicht ausgeschöpft. Eine Kanzlerin, mit einer derartigen Nähe zur russischen Sprache und Mentalität, könnte noch stärker helfen, Brücken zu bauen. In dem Spannungsbogen von Sanktionen und Verhandlungen können und müssen wir Deutsche uns bei den Verhandlungen so stark als möglich einbringen. Aber eins muss klar sein: Völkerrechtsbrüche sind in keinem Fall zu akzeptieren.

Wie bewerten Sie den Entwurf des deutschen Verkehrsminister Dobrindts, auf Autobahnen eine Pkw-Maut für Ausländer einzuheben.
Die Grundfrage ist, wie Deutschland die Sanierung seiner maroden Verkehrsinfrastruktur finanzieren kann. Das kann man über eine Nutzerabgabe machen oder direkt an der Tankstelle. Darüber muss man debattieren. Dobrindt geht es aber um etwas anderes: Er will mit der Maut ein Zeichen setzen, wonach es angeblich das deutsche Gerechtigkeitsgefühl verlange, auch ausländische Autofahrer zur Kasse zu bitten. Das Signal, das damit bei Ausländern ankommt, ist doch: Wir wollen euch nicht. Für ein Land wie Schleswig-Holstein, das eine gedeihliche Zusammenarbeit mit den dänischen Nachbarn hat, ist das keine schöne Vorstellung.

Die Bayern haben ja auch Nachbarn, die Österreicher.
Ich weiß nicht, warum die CSU diese irrationale Debatte unbedingt führen will. Nur eines ist ganz eindeutig: zur Reparatur unserer Straßen sind die künftigen Einkünfte aus der geplanten Maut völlig unzureichend.

300 Millionen Euro.
Ja. 500 Millionen brutto, und dann kommen nicht unerhebliche Verwaltungskosten. Denn wenn Deutsche etwas machen, dafür sind wir mittlerweile bekannt, kann es im Zweifel kompliziert und teuer werden.

Das erinnert an den Dosenpfand. Deutschland hat eine Tendenz, bürokratische Monster zum Leben zu erwecken.
Sieht so aus. Aber eigentlich will auch der Deutsche keine bürokratischen Monster. Er will nur unendliche Gerechtigkeit. Für jede und jeden muss es deshalb Einzelfallantworten geben. Du hast ein kleines Auto. Du ein großes. Du fährst viel und ich wenig. Immer eine neue Antwort.

Das ist ja verrückt.
Zumindest nicht zielführend. Und aus der ursprünglichen Aufgabenstellung eines Bundesverkehrsministers nicht nachvollziehbar. Er müsste einen Masterplan vorlegen, wie wir die zur Beseitigung des Reparaturstaus in den nächsten 15 Jahren notwendigen 100 Milliarden Euro erlangen und verwenden, um Straßen, Schienen und Wasserwege wieder auf ein industriegesellschaftliches Niveau zu bringen.

Wie wollen Sie 100 Milliarden Euro aufstellen?
Das sind sieben Milliarden jährlich. Fünf aus einer höheren LKW-Maut und zwei Milliarden von PKWs, das wären vielleicht 40 bis 50 Euro von jedem Autofahrer. Entweder durch eine Abgabe oder an der Tankstelle, durch eine leicht erhöhte Mineralölsteuer. Das wären verhältnismäßig geringe Centbeiträge in einer Welt, in der sie an einer Tankstelle von Freitag auf Samstag 15-Cent-Sprünge haben. Die sieben Milliarden wären ja viel weniger, als das, was zum Beispiel in Österreich von den Bürgern verlangt wird. Die österreichische Maut auf deutsche Verhältnisse umgerechnet ergäbe bei uns fast zehn Milliarden zusätzliche Mittel.

Dobrindt gehört der CSU an, die so viel ich weiß, keine absolute Mehrheit in Deutschland. Warum halten die Koalitionspartner den Geisterfahrer nicht auf?
Herr Dobrindt hat das ja nicht aus Spaß gemacht, sondern weil es sein Parteichef, Bayerns Ministerpräsident Seehofer, in den Koalitionspakt eingebracht hat.

Auch Ihre Partei, die SPD, stimmte zu.
Alle Koalitionsparteien stimmten zu. Ein Koalitionsvertrag ist ein Gesamtwerk. Jeder muss dabei Kröten schlucken. Deswegen darf man aber trotzdem sagen, dass es eine Kröte ist. Vielleicht hofften einige auch, das Gesetz werde europarechtlich nie durchgehen.

Und Sie hoffen auch, dass Brüssel die Pkw-Maut abdreht.
Wir schauen jedenfalls sehr genau hin, was Brüssel zum Thema Diskriminierungsverbot sagen wird.

Sie sitzen als Ministerpräsident im Bundesrat. Wie werden sie sich verhalten?
Bis auf Bayern werden alle anderen 15 Bundesländer sicherlich keinen Fanklub für das Gesetz gründen.

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