Die rechtspopulistische Partei Ukip gewinnt durch einen Tory-Überläufer eine Nachwahl. Die Labour Party schießt sich ein Eigentor.
London. Der Siegeszug der United Kingdom Independence Party (Ukip) geht weiter: Die Rechtspopulisten eroberten im südenglischen Wahlkreis Rochester and Strood den zweiten Parlamentssitz in Folge von den Konservativen und brachten damit Premier David Cameron weiter in Bedrängnis. Ukip-Chef Nigel Farage erklärte: „Jetzt ist alles möglich.“
Immerhin lag Rochester and Strood auf der Liste gewinnbarer Mandate für Ukip nur an 271. Stelle. Darauf spielte auch der siegreiche Kandidat Mark Reckless an, als er sagte: „Wenn wir hier gewinnen können, können wir es im ganzen Land schaffen.“ Er war erst im September von den Konservativen zu Ukip gewechselt und hatte damit die Nachwahl ausgelöst. Bei seinem Übertritt erklärte er: „Die Menschen fühlen sich ignoriert, für selbstverständlich genommen, überbesteuert, überreguliert, ausgenommen und angelogen.“
Anti-Europa-Rhetorik
Die Niederlage ist für Cameron besonders schmerzhaft, denn er persönlich und sein gesamtes Kabinett hatten mit großem Einsatz gegen einen Verlust des Wahlkreises gekämpft. Allein der Premier war fünfmal nach Rochester gekommen. Die Tories wollten unter allen Umständen eine Wiederholung der Niederlage von Clacton-on-Sea verhindern, wo der Überläufer Douglas Carswell im Oktober der erste gewählte Ukip-Abgeordnete im britischen Unterhaus wurde. Cameron verschärfte im Vorfeld der Nachwahl in Rochester seine Anti-Europa-Rhetorik spürbar.
Dennoch gelang es nicht, den Aufwärtstrend von Ukip zu brechen. Die Partei will einen Austritt aus der EU und die Wiedererlangung der angeblich an Brüssel verlorenen Souveränität. Nur bei einem Verlassen der EU werde Großbritannien wieder die volle Kontrolle über seine Grenzen erhalten, behauptet Ukip. Die Vermischung der Themen EU und Einwanderung, oft jenseits aller Fakten (so ist Großbritannien nicht einmal Schengen-Mitglied), bezeichnet Simon Tilford vom Centre for European Reform im Gespräch mit der „Presse“ als „politisches Dynamit“.
Ukip benützt es, um eine weitgehend diskreditierte politische Elite auszuhebeln. Auch wenn die Rechtspopulisten vor allem den Konservativen schaden, ist auch die oppositionelle Labour Party keineswegs sicher. Zu Gerüchten über neue Überläufer zu Ukip sagte Farage, man spreche auch mit Labour-Vertretern. Hinterbänkler beider Parteien fürchten um ihre Zukunft.
Ausgerechnet die Labour Party verschaffte Cameron in einem Akt politischer Dummheit etwas Luft. Die prominente Abgeordnete Emily Thornberry, Mitglied des Schattenkabinetts Ed Milibands, twitterte am Wahltag ein Foto aus Rochester, das allgemein als Verächtlichmachung der Wähler aufgefasst wurde. Es verstärkte den Eindruck, dass die großen Parteien von einer abgehobenen Elite aus Snobs und Berufspolitikern geführt werden, die für das Volk nur Verachtung übrig haben. Thornberry musste zurücktreten, aber der Schaden bleibt.
Davon weiß momentan keiner mehr zu profitieren als Farage, der sich als Mann des Volks mit einem Pint Bier und einer Zigarette in der Hand in Szene zu setzen weiß. Doch auch für ihn werden mit den Wahlerfolgen die Herausforderungen größer. Der Wahlforscher John Curtice von der Universität Glasgow meint: „Es war sicher eine große Nacht für Ukip. Aber es macht die Aufgabe nur noch größer.“ Die Rechtspopulisten könnten bei der Parlamentswahl im Mai zum Zünglein an der Waage werden.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.11.2014)