USA: Der Zorn des schwarzen Amerika

during a demonstration in Oakland, California following the grand jury decision in the shooting of Michael Brown in Ferguson, Missouri
during a demonstration in Oakland, California following the grand jury decision in the shooting of Michael Brown in Ferguson, Missouri(c) REUTERS (STEPHEN LAM)
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Die Ausschreitungen in der Kleinstadt Ferguson verdeutlichen die tiefe Kluft zwischen Amerikas schwarzer Jugend und den Polizeibehörden – aber auch die fatale politische Apathie vieler Afroamerikaner.

Mehr als ein Dutzend niedergebrannter Häuser, geplünderter Geschäfte, 23 Verletzte, zwei verkohlte Streifenwagen, mehr als 80 Festnahmen: Die Nacht auf Dienstag brachte einen der schwersten Krawalle in der jüngeren Geschichte der USA. Die Ankündigung, dass ein weißer Polizist, der im August einen schwarzen Jugendlichen erschossen hat, keinen Strafprozess zu fürchten braucht, führte zum Überkochen einer friedlichen Demonstration in Ferguson, einer Vorstadt von St. Louis in Missouri. „Das war wesentlich schlimmer, als wir es befürchtet hatten“, sagte ein Polizeioffizier.
Die Appelle von Präsident Barack Obama, von Kirchenführern und den Eltern des erschossenen Jugendlichen, Michael Brown, verhallten wirkungslos. „Andere zu verletzen oder Eigentum zu zerstören ist nicht die Antwort“, sagte Obama. „Michael Browns Eltern haben mehr verloren als alle anderen. Wir sollten ihre Wünsche respektieren.“
Der Präsident nannte allerdings auch jenes Problem beim Namen, das den Hintergrund für die breite öffentliche Kritik am Umgang der Polizei und Staatsanwaltschaft mit Browns Tod bildet. „Zu oft scheint es, als werde das Gesetz diskriminierend angewendet. In zu vielen Teilen dieses Landes besteht ein tiefes Misstrauen zwischen der Exekutive und farbigen Teilen der Gesellschaft. Das ist bedauerlich, denn niemand braucht gute Polizeiarbeit mehr als arme Schichten mit hohen Verbrechensraten.“ Die Anwälte der Familie Brown übten harsche Kritik an dem Prozess. Dieser sei „vollkommen unfair“ gewesen. Staatsanwalt Robert McCulloch habe eine enge Beziehung zur lokalen Polizei in Ferguson gehabt. Man habe gegen seine Einsetzung protestiert und einen unabhängigen Ermittler gefordert, bevor die Geschworenenjury im August ihre Arbeit aufnahm.

Der Überlebensvorteil weißer Haut

Wer schwarz ist, wird viel eher von der Polizei angehalten, festgenommen oder erschossen. Im Jahr 2013 wurden zum Beispiel in Ferguson 483 Schwarze von der Polizei festgenommen, aber nur 36 Weiße. Selbst unter Berücksichtigung des Umstandes, dass zwei Drittel der Bürger dieser Kleinstadt schwarz sind, ist das ein enormes Missverhältnis.
Eine weiße Haut zu haben kann in den USA über Leben und Tod entscheiden. ProPublica, eine mehrfach mit dem Pulitzerpreis gekrönte journalistische Rechercheplattform, hat die Kriminalstatistiken der Bundespolizei FBI der Jahre 1980 bis 2012 nach tödlichen Schusswaffeneinsätzen von Polizisten durchkämmt. Ihr Ergebnis: Für schwarze junge Männer ist es 21-mal wahrscheinlicher, von Polizisten erschossen zu werden, als für ihre weißen Altersgenossen. Schwarze haben in den USA laut Statistik des Justizministeriums eine 6-mal höhere Mordopferrate als Weiße (und eine 8-mal höhere Täterrate).

Schwarze gehen kaum zu Lokalwahlen

Die Diskriminierung zieht sich bis in die Gerichte. „Wenn man schwarz ist, des Mordes angeklagt wird und sich damit verteidigt, dass es Selbstverteidigung war, hat man eine dreiprozentige Chance, freigesprochen zu werden. Die Chance für Weiße liegt bei mehr als 30 Prozent“, sagte die Sozialforscherin Avis Jones-DeWeever, Ex-Geschäftsführerin des National Council of Negro Women, der ältesten US-Lobbyorganisation für schwarze Frauen, im Vorjahr im „Presse“-Gespräch.
Jones-DeWeever wünscht sich, dass sich mehr Schwarze in die Wählerverzeichnisse eintragen lassen und an den Wahlen für Gemeinderäte, Schulbehörden, Staatsanwaltschaften und Richterämter beteiligen. Das tun sie nämlich nur selten: Bei den Kommunalwahlen 2013 gingen in Ferguson nur sechs Prozent der Schwarzen wählen, aber 17 Prozent der Weißen. Die weißen Wähler übertrumpften die schwarzen mit einer Mehrheit von 52 zu 47 Prozent. Das erklärt, wieso fünf von sechs Gemeinderäten dieser mehrheitlich schwarzen Stadt weiß sind, ebenso wie der Bürgermeister und der Polizeichef.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.11.2014)

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