Afghanistan: Tage des Terrors am Hindukusch

(c) REUTERS (OMAR SOBHANI)
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Eine neue Anschlagsserie in der Hauptstadt Kabul schürt die Angst vor Chaos im kommenden Jahr. Die Abwicklung des Afghanistan-Kriegs wird zum Fiasko.

Kabul/Wien. Der Selbstmordattentäter muss seinen Toyota mit einer gewaltigen Menge an Sprengstoff beladen haben: Der Knall am Donnerstagvormittag soll in der gesamten afghanischen Hauptstadt zu hören gewesen sein, durch die Wucht der Explosion wurde das Dach vom gepanzerten silbernen Geländewagen der britischen Botschaft gerissen und 15 Meter durch die Luft geschleudert. Sechs Menschen starben, darunter ein britischer und ein afghanischer Sicherheitsmitarbeiter der Botschaft. Es gab mehr als 30 Verletzte.

„Der Märtyrerangriff“ habe den „ausländischen Eindringlingen“ gegolten, erklärte ein Sprecher der Taliban. Die Extremisten bekannten sich später auch zu einem Anschlag auf das Diplomatenviertel. Eine Autobombe war hochgegangen. Dann fielen Schüsse. Die beiden Angreifer wurden getötet, ein Sicherheitsmann aus Nepal verletzt. Und am späten Abend berichtete die Nachrichtenagentur Reuters von einer dritten Explosion in Kabul.

Mehr tote Soldaten als 2013

Es sind Tage des Terrors in Afghanistan. Mehr als zehn Anschläge wurden binnen zwei Wochen allein in der Hauptstadt gezählt. Und die östliche Provinz Paktika wurde am Sonntag gar vom blutigsten Terrorangriff in Afghanistan seit 2011 erschüttert: Ein Selbstmordattentäter sprengte sich während eines Volleyballturniers in die Luft. 57 Menschen starben.

Wenn also zum Jahreswechsel der Großteil der verbliebenen 34.000 ausländischen Soldaten abzieht, dann nicht, weil die Gewalt am Hindukusch abebbt. Schon im ersten Halbjahr 2014 gab es mehr verletzte Zivilisten (3289) als in allen anderen Vergleichszeiträumen seit 2009; die Zahl der zivilen Todesopfer war seit 2009 nur im ersten Halbjahr 2011 größer (1575 versus 1564). Bis Anfang November starben zudem deutlich mehr afghanische Sicherheitskräfte, rund 4600, als im Vorjahreszeitraum.

Die Abwicklung des Afghanistan-Kriegs, ein Hauptziel der Präsidentschaft von Barack Obama: Sie wird zum Fiasko. Obama änderte deshalb die Pläne. Ab nächstem Jahr sollten sich die US-Truppen nach 13 Jahren des Kriegs auf die Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte und die „Jagd auf die Überreste von al-Qaida“ beschränken. Obama erweiterte nun aber das Mandat um Einsätze gegen die Taliban und andere Gruppen, die afghanische oder US-Truppen gefährden, berichtete die "New York Times".  Zudem will Washington bis zu 1000 zusätzliche Soldaten für die Nato-geführte Ausbildungsmission „Resolute Support“ entsenden, die rund 12.000 Mann umfassen soll. Ursprünglich plante das Pentagon, 9800 Soldaten am Hindukusch zu belassen (rund 8000 für die Nato-Mission und den Rest für Antiterroreinsätze). Doch das Bündnis plagt sich, gemeinsam die restlichen 4000 Soldaten für die Mission aufzubringen. Die jüngsten Terrorakte könnten weiter abgeschreckt haben.

Ghanis Präsidentschaft als Ziel

Die Anschlagswelle haben die Taliban angekündigt – als Reaktion auf das Sicherheitsabkommen, das der neue Präsident Ashraf Ghani für die Zeit nach 2014 geschlossen hatte. Die Extremisten hatten gehofft, die internationale Allianz würde wie im Irak komplett abziehen. Zudem wird spekuliert, ob die Anschlagsserie gleich von Beginn an das Vertrauen der Afghanen in Ghanis Präsidentschaft schwächen sollte. Der Staatschef gilt als Hoffnungsträger – auch im Westen. Berichten zufolge ist er deutlich kooperationsbereiter als sein Vorgänger Hamid Karzai.
Doch auf Ghani warten Pzehalreiche robleme: Nach einer von Manipulationsvorwürfen überschatteten Wahl und langem Gezerre einigte er sich mit dem unterlegenen Konkurrenten Abdullah Abdullah auf ein fragiles Abkommen zur Machtteilung. Hohe Sicherheitsausgaben fressen zudem einen großen Teil des Budgets auf.

Auch deshalb richtet London nächste Woche eine internationale „Geberkonferenz“ aus. Die Briten selbst haben bereits 225 Mio. Euro Hilfsgelder pro Jahr zugesagt. Möglicherweise wurden sie auch deshalb gestern zum Terrorziel.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.11.2014)

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