Kuba: Der Friedenscoup des Raúl Castro

Cuba´s President Raul Castro attends the opening session of the 10th ALBA alliance summit in Havana
Cuba´s President Raul Castro attends the opening session of the 10th ALBA alliance summit in Havana(c) REUTERS (ENRIQUE DE LA OSA)
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Viele auf Kuba sind enttäuscht wegen zu zaghafter Reformen. Durch den Ausgleich mit den USA hat Castro aber Vertrauen zurückgewonnen.

Der kleine Mann mit der großen Brille hatte es nie leicht beim kubanischen Volk. Wie auch? Mit diesem Bruder namens Fidel Castro und einer Vergangenheit als ewige, blasse Nummer zwei. Er war stets der Mann im Schatten, ein Militär, mit über 50 Jahren im Amt der dienstälteste Verteidigungsminister der Welt. Pragmatisch in wirtschaftlichen und organisatorischen Belangen, bedacht auf Ordnung und Disziplin, aber auch knallhart und gnadenlos mit Fehlbaren und Ungehorsamen. Im Kampf um Macht und Kontrolle opferte Raúl auch engste Freunde, einige in stalinistischer Tradition mit Schauprozess und Erschießungen.

Das Volk hatte Respekt, wie straff er die einst größte Armee Lateinamerikas führte, aber auch Angst vor seiner eisernen Faust. Gleichzeitig hatten die Kubanerinnen und Kubaner die Nummer zwei jahrzehntelang schwach geredet – nie wurde Raúl die Gerüchte los, er sei homosexuell und ein schwerer Alkoholiker. Er gilt als notorischer Whiskytrinker.

Enttäuschte Hoffnung. Die Menschen hofften, dass Raúl ihr Gorbatschow werden könnte. Doch sie täuschten sich. Castro II. war in allem zaghaft und zögerlich, war lange Zeit damit beschäftigt, den Machtapparat zu seinen Gunsten umzubauen. Die Fidelistas stellte er mit geschickten Schachzügen kalt und setzte seine ihm treu ergebenen Militärs auf alle wichtigen Posten, politisch und wirtschaftlich. An der Einparteienpolitik (mit einer Kommunistischen Partei ohne Macht und Einfluss) und an der Repression gegenüber Andersdenkenden hat er bis heute nichts geändert.

Nach drei, vier Jahren machte sich im Volk Enttäuschung und Ernüchterung breit. Vom Hoffnungsträger wurde Raúl zum „reformista lento sin apuro“, zum langsamen Reformer ohne Eile. Jorge, ein 58-jähriger Taxifahrer in Havanna sagt: „Raúl hat zwar ein bisschen Marktwirtschaft zugelassen und uns das Reisen erlaubt, doch das waren Ventile, um sich und seinen Alten politisch Luft und Zeit zu verschaffen und den steigenden Leidensdruck im Volk etwas zu lindern.“

Wenn Raúl das Land wirklich verändern und die am Boden liegende Wirtschaft ankurbeln wollte, müsste er die Privaten endlich machen und produzieren lassen. „Mit privaten Cafeterias, Restaurants und Friseursalons bringt man doch keine Wirtschaft in Schwung“, sagt Jorge, der einst Ökonomie studiert hat, aber seit Jahren Taxi fährt, weil er so viel mehr verdienen kann als im Staatsdienst.


Ineffiziente Produktion. Raúl hat es in acht Jahren nicht geschafft, die Wirtschaft aus der Misere zu führen. Die Produktion ist nach wie vor weitgehend staatlich: ineffizient und bis ins Mark faul. Kuba muss wie vor Raúls Amtsübernahme immer noch 80 Prozent aller Lebensmittel teuer aus dem Ausland importieren. Die Insel hält sich mit dem Tourismus, dem Export von zehntausenden Ärzten und anderem Fachpersonal sowie den Überweisungen von Familien aus dem Ausland über Wasser. Dieser Zustand sowie eine rigide Sparpolitik im Sozialen und die Entlassung von hunderttausenden Staatsangestellten haben die Gesellschaft entzweit – in neue Reiche und sehr viele, die in bitterer Armut leben müssen.

Bettler, die im Müll wühlen. In Havanna werden laufend neue, teure Restaurants und Bars (mit fremdem Geld aus dem Ausland) eröffnet, gleichzeitig sieht man immer mehr Bettler und Obdachlose, die in Mülltonnen wühlen und in Hauseingängen und Parkbänken übernachten. Unter Raúl ist die Zahl derer, die von der Insel flüchten, wieder gestiegen. Jedes Jahr suchen rund 4000 Menschen das Weite.

Die 35-jährige Eva, die auf eigene Rechnung schwedische Fahrradtouristen quer durch die Insel führt, sagt zur Entwicklung ihres Landes: „Wir erleben eine Art kubanische Perestrojka, nur ist das vielen Menschen hier noch nicht bewusst.“ Ihrer Meinung nach hat sich Kuba unter Raúl bereits stark verändert. Der Politologe, Theologe und Autor Dimas Castellanos stimmt dem zu, doch er sagt: „Raúl hat einiges gut, vieles falsch und sehr vieles nicht gemacht. Er hätte in acht Jahren viel mehr tun können.“

Balsam für die Volksseele. Ob auf dem Land oder in den Städten, das Stimmungsbarometer war in den vergangenen Jahren gesunken. Die meisten Menschen hatten den Glauben verloren, dass Raúl Kuba wirklich verändern und in eine bessere Zukunft führen will.Vergangenen Mittwoch kam der Glaube mit einem Schlag zurück. Der Friedensschluss mit dem alten Feind USA war ein regelrechter Coup und für die kubanische Volksseele mehr als nur Balsam. Ein tief in der kubanischen DNA steckendes Trauma ist aufgelöst.

Die Überraschung auf der Insel war riesig. Die Menschen trauen Raúl plötzlich wieder zu, dass er echte Veränderungen anstrebt – auch wenn für viele klar ist, dass er dies primär aus wirtschaftlicher Not und politischem Eigeninteresse tut.


"Neue Epoche". Doch die Hoffnung ist zurück, dass die neue Freundschaft mit den USA zumindest teilweise auch dem Volk zugute kommt. Kubas bekanntester Schriftsteller Leonardo Padura ist gar überzeugt: „Dies ist der Beginn einer neuen Epoche.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.12.2014)

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