Ukraine: Der eilige Aufbau der Volksrepublik Donezk

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Im Donbass bauen die separatistischen Behörden aus Kriegstrümmern einen neuen Staat auf. Pathos und Propaganda dürfen dabei nicht fehlen.

Diese Minuten sind eine schwere Prüfung für Bruder Roman. Das ohrenbetäubende Geschrei des Säuglings im Nacken, rezitiert der Geistliche im Singsang aus der Heiligen Schrift. Ein Zimmer im Untersuchungsgefängnis, mit Wandmalereien auf Kapelle getrimmt. Die Luft ist stickig, Gitter versperren das einzige Fenster, es ist viel zu heiß. Dem Popen rinnen die Schweißperlen die Stirn herab, sein Kugelbauch bebt unter dem cremefarbenen Ornat. Er befielt den beiden Frauen, die Säuglinge in ihren Händen zu entkleiden, der kleine Nikolaj schreit jetzt noch lauter, er will sich nicht beruhigen. Als er bis auf die Windel nackt ist, lässt die Helferin das Baby in Romans Hände gleiten. Er spritzt Wasser aus einem lilafarbenen Bottich auf ihn. Endlich, die heilige Taufe ist vollzogen! Der sechs Monate alte Nikolaj und der kleine Dmitrij sind nun Mitglieder der orthodoxen Gemeinde der Donezker Volksrepublik. Der orthodoxe Glaube, betonen die politischen Anführer gern, sei ein Grundpfeiler ihres Staates. Viele Erdenbürger haben noch niemals von der Donezker Republik gehört. Doch der Gott, den Bruder Roman anruft, weiß Bescheid.

Die alten Fliesen des Donezker Untersuchungsgefängnisses sind blank geputzt, doch der Uringeruch in den Gängen lässt sich nicht wegwischen. Stacheldraht, schwarze Eisentore, weiße Mauern. Das Gefängnis beherbergt ungefähr 1500 Insassen. Nikolaj und Dmitrij wurden hier geboren, ihre Mütter sitzen wegen Verstoßes gegen das Suchtgiftgesetz. Im Büro neben der Kapelle erklärt Sergej Schitikow, Leiter der sozialpsychologischen Abteilung, warum man das religiöse Ritual unter dem Beisein der Medien veranstaltet hat. „Diese Kinder sind kleine Bürger der Donezker Volksrepublik und damit unsere Zukunft.“ Die Gefängnistaufe ist die erste seit Beginn der Ära der Donezker Volksrepublik, von der Bevölkerung kurz DNR genannt.

Die DNR umfasst einen Teil des ukrainischen Verwaltungsgebietes Donezk, knapp zwei Millionen sollen hier leben. Der Quasi-Staat wurde von prorussischen Aktivisten am 7. April als Gegenreaktion auf die neue prowestliche Regierung in Kiew ausgerufen. Die Polizisten im Untersuchungsgefängnis tragen auf ihren Uniformen die Abzeichen der Republik. Wann haben sie die Seiten gewechselt? Sie können sich nicht mehr erinnern, sagen sie. „Mit unserer Seele waren wir sofort aufseiten der DNR“, antwortet schließlich einer.

Während Kiew die russophilen neuen Herren des Donbass als Terroristen bezeichnet, entsteht hier ein neues Gemeinwesen. Jede Geburt, jede Taufe schafft Fakten. Jeder Tag, der im Schwebezustand zwischen Krieg und Frieden verstreicht, ist ein Tag für die Abspalter. „Wir verteidigen den Donbass“, steht auf den Propagandaplakaten. Konnte man in den Tagen des „Unabhängigkeitsreferendums“ im Mai noch häufig die Meinung hören, die Ukraine habe einen „Denkzettel“ nötig, hat sich die Stimmung mit der Dauer des Konflikts radikalisiert. Die Entfremdung zu Kiew hat zugenommen. Viele Bürger sagen: „Wir gehen sicher nicht mehr in die Ukraine zurück.“ Und: „Wir leben bereits in einem eigenen Staat.“

Uhren auf Moskauer Zeit gestellt

Andere separatistische Gebiete wie Abchasien, Südossetien und Transnistrien bieten der Donezker Führung Orientierung. Ja, die Verfassung ist noch nicht angenommen, es gibt kein Bankensystem, keine eigene Währung, weder Post noch Pässe. Doch seit Ende Oktober gilt in Donezk die Moskauer Zeit. Auf Luxuskarossen mehren sich DNR-Nummernschilder, es gibt eine Flagge, eine Hymne. Das anfängliche Chaos ist der Ordnung gewichen: In der früheren Gebietsverwaltung wird nicht mehr demonstriert, Mitarbeiter mit Akten huschen durch die Flure. Ministerien wurden gegründet, die Minister haben sich Pressesprecher zugelegt. Auch die Grenzen der DNR, wiewohl nicht endgültig festgelegt, sind gesichert durch Schützengräben, Straßensperren und Artillerie. Es ist eine eigene Realität, die hier in einem Teil des Donbass entsteht, während ein paar Kilometer weiter ukrainische Soldaten eine vermeintlich „einige Ukraine“ verteidigen. Doch die, die auf der anderen Seite der Front geblieben sind, haben sich von dieser Idee verabschiedet.

In der Musikakademie, ein paar Häuserblöcke vom Untersuchungsgefängnis entfernt, wirbt Aleksandr Chodakowskij bei Studenten und Lehrenden für Sympathie. Der stuckverzierte Saal im ersten Stock ist rappelvoll. Chodakowskij, einst Chef der Polizeispezialeinheit Alpha, ab Mai Kommandant des Separatistenbataillons Wostok und nunmehr Vorsitzender des DNR-Sicherheitsrates, hält eine Bürgersprechstunde ab. Auf dem Podium hinter ihm steht ein Flügel. Chodakowskij – schwarze Fleecejacke, schwarze Schnürstiefel, Dreitagebart – ist ein Krieger. Er ist gewohnt, Befehle auszugeben, hier versucht er, sanftere Töne anzuschlagen. Gerade die Intelligenz sei zur „Verteidigung des geistigen Raumes“ aufgerufen. Es folgt ein leidenschaftlicher Appell für „russkij mir“, die russische Welt, deren Teil der Donbass sei, und eine Anklage gegen die „russophobe“ Ukraine und die USA, die diesen Krieg vom Zaun gebrochen haben und Russland mit hineinreiten wollten. „Wir balancieren auf einem schmalen Grat.“

Klagen über tätliche Übergriffe

Natürlich gebe es im jungen Staat auch Probleme, gibt Chodakowskij zu. Manche Waffenträger verhielten sich, als stünden sie außerhalb des Gesetzes. Es häufen sich Klagen über Enteignungen und Übergriffe. Die Militärpolizei werde sich um diese Fälle kümmern, verspricht er. Gleichzeitig ersucht er um Verständnis, Donezk befinde sich in einer Ausnahmesituation. Die freiwilligen Kämpfer seien zwar „nicht besonders gebildet“, ihr Einsatz sei jedoch wertvoll: „Diese Leute sind Vorkämpfer zum Schutz unserer Kultur.“

Doch die Vorkämpfer treten derzeit auf der Stelle. Eine Erstürmung des Donezker Flughafens etwa, wo auf einem Terminal die Ukrainer ausharren, wäre nur mit enormen Verlusten möglich. Der Winter ist über den Donbass eingefallen. Separatisten und Armee sind in einem aufreibenden Nervenkrieg gefangen. Momentan liegt angespannte Ruhe über der Stadt, und Gesprächsbereitschaft mit der Gegenseite scheint Erfolg versprechender als eine Offensive. Auch wenn das nicht so gut ins Heldenepos der DNR passt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.12.2014)

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