Thaçi: „De facto ist der Kosovo schon von Serbien anerkannt“

(c) EPA (VALDRIN XHEMAJ)
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Kosovos Außenminister, Ex-Premier Hashim Taçi, ist guter Dinge, dass der Tag der Anerkennung durch Belgrad kommen wird.

Die Presse: Vor einigen Monaten wechselte Serbiens Premier, Ivica Dačić, ins Außenamt, nun sind Sie Außenminister des Kosovo. Sieht aus, als wollten Sie unbedingt wieder mit ihm arbeiten . . .

Hashim Thaçi: Wir sollten solche Prozesse entpersonalisieren. Ich habe das Brüsseler Abkommen mit Dačić geschlossen, dann habe ich mit Alexander Vučić als Gegenüber weitergearbeitet, und wir werden den Dialog auf hoher Ebene bald fortführen. Wir werden alle Vereinbarungen, die wir geschlossen haben, implementieren. Ich arbeite mit allen Personen zusammen, die einen guten Willen haben, auch mit dem Premier und dem Außenminister Serbiens.


Sehen Sie denn diesen guten Willen bei Premier Vučić?

Vor einigen Wochen habe ich ihn in New York getroffen, ganz ohne internationale Vermittlung. Wir haben unsere zukünftige Agenda besprochen. Ich sehe bei ihm den guten Willen, weiterzumachen.


Gelegentliche nationalistische Äußerungen von ihm zum Kosovo sind also nur Rhetorik für den internen Gebrauch?

Wir sind ja alle politische Führer, da gibt es in unseren Reden natürlich Botschaften für die Wähler, Vučić ist da keine Ausnahme. Aber gerade in unserer Region sollte Nationalismus keine Rolle in den Politikerreden spielen. Wir haben zwischen dem Kosovo und Serbien das Brüsseler Abkommen für Frieden in unserer Region geschaffen, Anspruch auf eine Rückkehr zur Vergangenheit kann es nicht geben.


EU-Politiker betonen, dass vor einer Aufnahme Kosovos und Serbiens in die EU die Beziehungen zwischen Belgrad und Prishtina „normalisiert“ sein müssen. Können Sie sich vorstellen, dass das auch unterhalb der Schwelle einer Anerkennung Kosovos durch Serbien geht?

Der Normalisierungsprozess ist in eine neue Phase gegangen, wir sind aber noch nicht bis zu einer wechselseitigen Anerkennung gekommen. Vor einer Woche zum Beispiel waren der Innen- und der Justizminister des Kosovo zu einem ganz normalen Besuch in Belgrad. Das Brüsseler Abkommen wird implementiert, auch wenn Serbien dabei etwas zögert. Aber der Tag einer wechselseitigen Anerkennung beider Seiten wird bald kommen, das wird im Verlauf des EU-Annäherungsprozesses passieren. Serbiens politischer Führung ist die Unabhängigkeit des Kosovo bewusst.


Aber könnte es eine De-facto-Anerkennung sein, ohne dass das Wort fällt?

De facto ist der Kosovo schon von Serbien anerkannt.


Woran machen Sie das fest?

Das passiert de facto auf allen Ebenen. Die kosovarischen Institutionen kontrollieren den gesamten Staat, wir haben keine De-jure-Präsenz Serbiens im Kosovo, die Serben im Nordkosovo sind Teil der Regierung und des Parlaments.


Es gibt ja auch einige EU-Staaten, die den Kosovo noch nicht anerkannt haben. Sie waren gerade in Brüssel: Haben Sie Signale bekommen, dass sich daran in nächster Zeit etwas ändert?

Ich hoffe, dass nächstes Jahr das Eis brechen wird. Dass fünf EU-Staaten den Kosovo noch nicht anerkannt haben, ist eine unnötige Botschaft an die Region. Kein europäischer Staat hat einen Grund, den Kosovo nicht anzuerkennen. Die Unabhängigkeit des Kosovo ist nicht umkehrbar.


Wie „normal“ sind denn die Beziehungen zu Serbien?

Der Kosovo und Serbien hatten mehr als hundert Jahre lang Konflikte gehabt, am Ende stand ein Genozid. Bis vor zwei Jahren war es nicht denkbar, dass Politiker des Kosovo und Serbiens an einem gemeinsamen Tisch sitzen. Derzeit finden Gespräche auf allen Ebenen statt.


Wann werden Sie nach Belgrad fahren?

Ich? (lacht)


Ja.

Ich kann derzeit nicht sagen, wann. Als Student bin ich 1989 über Belgrad nach Wien gegangen, aber ich kenne Belgrad nicht, ich habe da keine Nostalgie. Es hängt vom Willen der serbischen Regierung ab, wann sie mich nach Belgrad einladen wird. Ich habe jedenfalls den Premier und Außenminister Serbiens eingeladen, den Kosovo zu besuchen.


Gab es eine Antwort?

Ich hoffe, dass diese Besuche stattfinden werden.


Aber hat Belgrad schon geantwortet?

Es gibt guten Willen.


Wann nimmt das Sondergericht zu mutmaßlichen Verbrechen der UÇK seine Arbeit auf?

Der Kosovo hat nichts zu verstecken. Wir haben diesem Prozess unsere volle Unterstützung gegeben und werden alle unsere Aufgaben in Zusammenhang mit dem Sondergericht erfüllen. Wir hoffen, dass das neue Parlament das in den ersten Wochen des neuen Jahres umsetzen wird.


Anfangs waren Sie gegen dieses Gericht, am Ende haben Sie dafür gestimmt. Was ist dazwischen passiert?

Wir waren nicht dagegen, aber wir haben mehr Klarheiten verlangt. Wir haben uns gedacht, es ist nicht nötig, ein Sondergericht außerhalb des Kosovo zu gründen.


Fürchten Sie, dass unangenehme Dinge ans Tageslicht kommen könnten?

Es kann sein, dass einige Personen falsch gehandelt haben, einzelne Individuen, aber unser Krieg war gerecht. Wir waren auf der guten Seite der Geschichte, die Welt hat unseren Befreiungskrieg unterstützt.

Zur Person

Hashim Thaçi (geboren am 24. April 1968 nahe Skenderaj im Kosovo) ist seit Kurzem Außenminister seines Landes. Zwischen 2008 und Dezember 2014 war er der erste Premier des Kosovo nach dessen Abspaltung von Serbien. Belgrad hat die Unabhängigkeit seiner ehemaligen Provinz allerdings bisher nicht anerkannt, doch gibt es nach langwierigen Verhandlungen Thaçis mit seinen serbischen Counterparts seit April 2013 einen Normalisierungsprozess.

Im Kosovo-Krieg Ende der 90er-Jahre war er ein Führungsmitglied der Kosovo-Untergrundarmee U?K. Er trug damals den Kampfnamen „Die Schlange“. Im März 1999 war er kosovarischer Verhandlungsführer bei den Verhandlungen im französischen Rambouillet, die allerdings zu keiner Einigung zwischen dem Milošević-Serbien und der Führung der Kosovo-Albaner führte. Thaçi gehört der „Demokratischen Partei des Kosovo“ an, deren Chef er auch seit vielen Jahren ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.12.2014)

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