Ukraine: Friedensprozess vor dem Aus

Alexander Sachartschenko, Präsident der
Alexander Sachartschenko, Präsident der "Volksrepublik Donezk" beharrt auf Unabhängigkeit.(c) APA/EPA/ALEXANDER ERMOCHENKO (ALEXANDER ERMOCHENKO)
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Die Verhandlungen in Minsk sind ausgesetzt. Ein geplantes Gespräch findet nicht statt. Die Ukraine spricht von "völlig inkompetenten" Verhandlungspartnern.

Ein für diesen Freitag in Minsk geplantes Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe ist allem Anschein nach geplatzt. Die Gruppe wollte über eine Friedensregelung für die Konfliktregion Donbass im Osten des Landes verhandeln. Es werde keine Gespräche an diesem Tag in Weißrussland geben, sagte der Sprecher des Außenministeriums, Dmitri Mirontschik, am Freitag.

Zuvor hatte bereits der Separatistenvertreter Denis Puschilin der Agentur Interfax zufolge angekündigt, dass wohl kein Treffen zu Stande kommen wird. Die Aufständischen hätten mit der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) Vorbereitungen für die neue Zusammenkunft in der weißrussischen Hauptstadt Minsk getroffen, sagte Puschilin.

Allerdings gab es von ukrainischer Seite noch Hoffnung: Nach weiteren Vorgesprächen könnten sich die Konfliktparteien doch wieder an den Tisch setzen, sagte ein hohes Delegationsmitglied der Ukraine der Nachrichtenagentur AFP.

Aus der ukrainischen Delegation kam der Vorwurf, die Separatisten aus Donezk und Lugansk hätten versucht, das Septemberabkommen zu revidieren. Aus den Rebellenhochburgen seien "völlig inkompetente Leute" nach Minsk gereist, die keine echte Verantwortung trügen und teils die alten Vereinbarungen nicht kennen würden, sagte eine Quelle der Nachrichtenagentur Interfax-Ukraine.

Gefangenenaustausch

Die Ukraine-Kontaktgruppe hat sich nach Darstellung der prorussischen Separatisten bei ihrem Treffen in Minsk auf einen Austausch aller Gefangenen geeinigt. Das teilte Separatistenführer Alexander Sachartschenko am Donnerstag der Agentur Interfax zufolge mit.

Die selbst ernannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk seien bereit, 150 ukrainische Sicherheitskräfte gegen 225 gefangene Anhänger der Aufständischen auszutauschen, sagte er. Die übrigen Schritte eines Friedensplanes müssten aber weiter erörtert werden.

Von ukrainischer Regierungsseite wurden die Angaben zunächst nicht bestätigt. Ein ranghoher Vertreter des Geheimdienstes SBU sagte jedoch, dass es bei den Verhandlungen in der weißrussischen Hauptstadt am Vortag um 225 Ukrainer und 150 Rebellen gegangen sei. "Wir hoffen, dass es sehr bald einen großen Austausch gibt", dem andere folgen sollten, sagte der SBU-Vertreter Markjan Lubkiwski. Nach seinen Angaben halten die Separatisten allerdings mehr als 680 Ukrainer gefangen. Kiew sei bereit, insgesamt 225 Rebellen auszutauschen.

Friedensschritte nicht umgesetzt

Es waren die ersten Verhandlungen seit mehr als drei Monaten. Bereits im September hatte die Kontaktgruppe aus Separatisten, Kiew, Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) sowie Russland Friedensschritte vereinbart. Diese wurden allerdings bisher nicht umgesetzt. Die Konfliktparteien werfen sich auch gegenseitig eine Verletzung der Waffenruhe vor. Das ukrainische Militär betonte, dass ein in Minsk vereinbarter Abzug schwerer Militärtechnik erst dann beginnen könne, wenn die Feuerpause tatsächlich eingehalten werde.

Die prorussischen Separatisten wollen bei den Minsker Gesprächen vor allem erreichen, dass die ukrainische Regierung ihre Wirtschaftsblockade des Donbass aufgibt. Außerdem ist der von ukrainischen Regierungstruppen kontrollierte Flughafen in Donezk umkämpft. Jede Seite des Konflikts erhebt Anspruch auf den strategisch wichtigen Airport.

Die Verhandlungen drehen sich immer wieder darum, wie die seit Monaten brüchige Waffenruhe endgültig umgesetzt werden kann. Sachartschenko warf der ukrainischen Regierung vor, einen Krieg vorzubereiten. Die in die NATO strebende Führung in Kiew will die Kontrolle über die nach Unabhängigkeit strebenden Regionen Donezk und Lugansk wiederherstellen. Die Meinungen in der Ex-Sowjetrepublik gehen darüber auseinander, ob dies auf dem Verhandlungsweg oder durch einen Krieg erreicht werden kann.

"Volksrepubliken" wollen Unabhängigkeit

Die Separatisten betonten am Rande der Friedensgespräche, dass eine Unabhängigkeit weiter auf der Tagesordnung bleibe. "Wir haben für die Freiheit mit unserem Blut bezahlt. Deshalb können wir eigenständig entscheiden, welche Staatlichkeit wir annehmen", sagte Sachartschenko. Seit Beginn der umstrittenen Anti-Terror-Operation der Regierung gegen die schwer bewaffneten Separatisten starben bei dem Konflikt bereits mehr als 4.600 Menschen, Hunderttausende sind auf der Flucht.

Wie sein Kollege aus Donezk gab auch der "Präsident" der selbst ernannten Republik Lugansk, Igor Plotnizki, die Einigung auf den Gefangenenaustausch bekannt. Möglicherweise werde dieser bereits am Wochenende erfolgen, sagte Plotnizki laut der russischen Nachrichtenagentur RIA Nowosti am Donnerstag.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow warf der Regierung in Kiew unterdessen vor, mit ihrem Bemühen um eine Mitgliedschaft in der NATO die Sicherheit in Europa zu gefährden. Der Westen nutze die Schritte der Regierung in Kiew, um den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine anzuheizen, sagte Lawrow am Donnerstag. "Es gibt einige westliche Länder, die die Krise in der Ukraine sowie die Konfrontation zwischen der Ukraine und Russland erhalten wollen, einschließlich durch provokative Anstrengungen zu einer Mitgliedschaft in dem Atlantischen Bündnis", sagte Lawrow. Die Ukraine hat in dieser Woche mit der Aufgabe der Blockfreiheit erste Schritte in Richtung NATO-Mitgliedschaft unternommen und damit scharfen Widerspruch der russischen Regierung ausgelöst. Die Ukraine wirft ihrem mächtigen Nachbarn vor, die prorussischen Rebellen im Osten der Ukraine mit Kämpfern und Waffen zu unterstützen.

(APA/dpa)

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