Schleppender Wiederaufbau im Gazastreifen

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Der Krieg im Sommer hat die Wirtschaft komplett ruiniert.

Tel Aviv. In Gaza ist es winterlich kalt, und immer noch haben zehntausende Menschen kein Zuhause: Sie leben in Zelten, bei Bekannten oder in Gebäuden des UN-Flüchtlingshilfswerkes. Es gibt kaum Strom, kaum Wasser, der Zement für den Wiederaufbau erreicht die Region nur langsam. Der Krieg im Sommer war der längste und zerstörerischste, den Gaza je gesehen hat – sowohl auf palästinensischer als auch auf israelischer Seite: 100.000 Häuser wurden zerstört. In Gaza starben rund 2200 Menschen. Auch 71 Israelis, die meisten von ihnen Soldaten, kamen ums Leben.

Zum Hintergrund: Im Juni waren drei israelische Jugendliche im Westjordanland entführt worden. Israel beschuldigte damals die Hamas, durchsuchte Dutzende Häuser im Westjordanland und nahm mehr als 300 Palästinenser fest. Die Hamas reagierte mit Raketenbeschuss auf Israel aus Gaza. Darauf antwortete die israelische Regierung am 8.Juli mit der Militäroffensive Protective Edge. Der Krieg endete nach 50 Tagen mit einem von Ägypten vermittelten Waffenstillstand. Im Oktober vereinbarten dann in Kairo 50 Staaten und 20 internationale Organisationen, den Wiederaufbau mit 4,3 Milliarden Euro zu finanzieren. „Ein Großteil von diesem Geld ist bis heute nicht angekommen“, klagt Sarit Michaeli von der NGO B'Tselem, die den Wiederaufbau dokumentiert. „Dazu kommt, dass die israelische Regierung das Baumaterial nicht durch die Checkpoints lässt.“ Laut UN-Schätzungen werden in Gaza rund fünf Millionen Tonnen Zement benötigt. Davon sind bis Ende November gerade einmal 1,2 Prozent angekommen. „Wenn das in dem Tempo weitergeht, dauert es noch 20 Jahre, bis Gaza wieder aussieht wie vor dem Krieg“, schätzt Alaa Radwan von einer lokalen Hilfsorganisation.

Der Wiederaufbauplan von Israel, der Palästinensischen Autonomiebehörde und der UN sieht vor, dass sich jeder Bewohner von Gaza bei Israel um Baumaterial bewerben muss. Israel kann den Antrag ablehnen, wenn es annimmt, dass das Material für den Bau von Waffen oder Tunneln eingesetzt wird. Menschenrechtsorganisationen sehen darin Schikane.

Tausende sind arbeitslos

Die Bewohner von Gaza bauen mit allem, was sie finden können: Plastik, Müll oder Holz. „Die zerstörten Häuser sind nicht das einzige Problem“, sagt Michaeli. „Der Krieg hat die Wirtschaft in Gaza komplett ruiniert. Fabriken sind kaputt, Bauern haben ihre Felder verloren, Tausende sind arbeitslos.“ Dazu kommt, dass der Krieg die Aussicht darauf, dass die Grenzübergänge nach Israel und Ägypten dauerhaft geöffnet werden, verschlechtert hat. „Ohne Bewegungsfreiheit kann kein Land auf die Beine kommen.“

Auch die Hamas ist geschwächt: Die Waffenarsenale sind leer, die Konten ebenfalls, viele angesehene Mitglieder sind tot oder verletzt. „Ein großer Teil der Bevölkerung in Gaza ist enttäuscht, weil die Hamas es nicht geschafft hat, das Leben der Leute zu verbessern. Im Gegenteil: Sie hat einen Krieg angezettelt, der verheerend war“, sagt Yoram Schweitzer, Terrorismusexperte an der Universität Tel Aviv. Auch international hat die Hamas Unterstützung verloren. Ägypten, die Türkei und Katar haben ihr den Rücken gekehrt. Seit einigen Monaten verhandelt die Terrororganisation wieder mit dem Iran, obwohl sie diese Verbindung im syrischen Bürgerkrieg abgebrochen hat. „Dass die Hamas nun wieder den Kontakt sucht, zeigt, wie schwach sie ist“, so Schweitzer. „Der Iran ist ihre einzige Hoffnung, um an Waffen und Geld zu kommen.“

Zumindest nach außen gibt sich die Hamas stark: Zum Jahrestag ihres 27. Bestehens vor zwei Wochen marschierte eine gewaltige Militärparade durch Gaza-Stadt. Vor einer Woche explodierte eine Rakete aus Gaza im Süden Israels. Es war bereits die dritte seit Kriegsende. Israel zerstörte daraufhin eine Zementfabrik im Gazastreifen. Schweitzer glaubt nicht, dass dies zur neuen Eskalation führen wird: „Um eine neue Runde der Gewalt zu eröffnen, ist die Hamas zu schwach.“

Israels Armee rüstet ebenfalls auf. Mehr als 4000 Raketen sind im Juli aus Gaza geflogen. Das Abwehrsystem Iron Dome fing die meisten erfolgreich ab. Mehr noch als die Angriffe aus Gaza fürchten die Armee aber Hisbollah-Attacken aus dem Südlibanon und baut daher ihr Raktenfrühwarnsystem aus. Ab 2015 soll es eine App geben, die gebietsspezifischen Raketenalarm auf Smartphones schickt, je nachdem, wo sich der App-Besitzer gerade befindet. Satelliten-TV und Digitalradios sollen personalisierte Warnungen senden. Ziel sei „ein landesweites Alarmsystem“, zitiert die „Jerusalem Post“ einen General.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.12.2014)

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