Afghanistan: Die unvollendete Nato-Mission

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Der Kampfeinsatz der Nato wird mit Jahresbeginn 2015 in eine Unterstützungsmission für afghanische Sicherheitskräfte umgewandelt. Doch der Krieg ist nicht beendet - die Opferzahlen steigen.

Wien/Kabul. Die Zeremonie fand unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen statt: US-General John Campbell, Kommandant der von der Nato geführten Militärmission in Afghanistan, rollte gestern, Sonntag, in Kabul die Flagge der Isaf ein. Über dem Hauptquartier weht eine neue Fahne. Der Nato-Kampfeinsatz in Afghanistan, der 13 Jahre gedauert hat, wird am 31. Dezember offiziell beendet. Der Krieg in dem Land am Hindukusch hält sich freilich nicht an offizielle Stichtage.

Das weiß auch die Nato. Die Isaf-Mission – International Security Assistance Force – wird künftig in die Ausbildungsmission „Resolute Support“ – „Entschlossene Unterstützung“ – umgewandelt. Künftig wird die Nato nur noch mit 12.000 Männern und Frauen in Afghanistan vertreten sein. Während des Isaf-Einsatzes waren zeitweise bis zu 140.000Soldaten im Land. Der Auftrag lautet nun: Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghanischen Streitkräfte.

In Kabul wurde gestern vorgefeiert. Die Militärmusik spielte auf, Soldaten standen mit ernster Miene und durchgestrecktem Rücken vor den Flaggen der Teilnehmerstaaten, und Campbell lobte den Einsatz: „Gemeinsam haben wir das afghanische Volk aus der Finsternis der Verzweiflung gehoben und ihm Hoffnung für die Zukunft gegeben.“ Der Einsatz habe Afghanistan „stärker und unsere Länder sicherer“ gemacht. Worte voller Pathos, wie sie bei einem Festakt üblich sind. Doch die Nato hat die selbst gesteckten Ziele ihrer Mission nur teilweise erfüllt – das wird nicht einmal von ihren Vertretern bestritten. Da wäre zunächst einmal die Befriedung des Konflikts und die Verbesserung der Sicherheitslage. Beides ist trotz der Versendung zehntausender Soldaten nicht gelungen. Von einem Verschwinden der islamistischen Taliban-Bewegung kann keine Rede sein – im Gegenteil. In Gegenden, die früher als relativ sicher gegolten haben – etwa der nordafghanischen Provinz Kunduz – sind sie mittlerweile auf dem Vormarsch. In den vergangenen Monaten wurde das Land von zahlreichen Anschlägen heimgesucht, auch Kabul blieb nicht verschont.

Viele befürchten, dass dies erst der Auftakt für eine größere Terrorwelle ist. Nach Angaben der UNO erreichte die Zahl der zivilen Gewaltopfer in diesem Jahr einen Höchststand: Von Jänner bis November wurden 3188 Zivilisten getötet und 6429 Menschen verletzt. Auch die Nato selbst steht wegen ihrer Fehlschläge hart in der Kritik der Lokalbevölkerung. Erst in der Vorwoche sollen in der Provinz Lugar bei einem Luftangriff mehrere Zivilisten irrtümlich getötet worden sein.

Angst vor mehr Opfern

Im Visier der Taliban stehen meist die – weniger gut geschützten – afghanischen Sicherheitskräfte. 2014 wurden bis Mitte November nach Angaben des afghanischen Innenministeriums mehr als 6000 Angehörige getötet – nach 4300 im Jahr 2013. „Die Zahlen sind zu hoch“, erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur DPA der Isaf-Vizekommandeur Carsten Jacobson, Generalleutnant der deutschen Bundeswehr, der auch bei der neuen Mission das Vizekommando übernehmen wird. Die Angst ist groß, dass 2015 die Opferzahlen weiter ansteigen werden. Die Nato wird zwar im ersten Jahr von „Resolute Support“ in ganz Afghanistan aktiv sein, soll sich danach aber in den Raum Kabul zurückziehen. Ein Jahr später soll der Einsatz ganz enden. Schon jetzt mehren sich die Zweifel, ob die Zeit reichen wird – und ob nicht das große, gebirgige Land nach einem überhasteten Abzug vollständig ins Chaos gleiten könnte. Es reicht ein Gedanke an das Beispiel des Irak nach dem Abzug der US-Kräfte.

Ein paar positive Punkte kann der internationale Einsatz freilich auch verzeichnen – sie liegen ironischerweise vor allem im Bereich der zivilen Aufbauarbeit. Der friedliche Machtwechsel an der Spitze Afghanistans bei den Präsidentenwahlen in diesem Jahr wäre wohl ohne die Sicherung durch die internationalen Truppen nicht möglich gewesen. Auch die Infrastruktur, die medizinische Versorgung und soziale Lage haben sich seit dem Ende des Taliban-Regimes dank vieler internationaler Hilfsprojekte verbessert. Mehr Kinder als früher besuchen die Schule, auch Mädchen und Frauen haben an persönlicher Freiheit dazugewonnen. Dennoch: Der Frage, ob ein Einsatz gerechtfertigt war, der pro Jahr geschätzte 143 Milliarden Dollar kostete und fast 2800 Nato-Soldaten das Leben, wird sich General Campbell wohl noch öfter stellen müssen. (ag./som)

FAKTEN

Weitere Infos:www.diepresse.com/afghanistanAm 31. Dezember endet offiziell der Nato-geführte Kampfeinsatz in Afghanistan. Künftig wird nur noch die Ausbildungs- und Unterstützungsmission „Resolute Support“ mit 12.000 Soldaten im Land tätig sein. Auch sie soll nach zwei Jahren beendet sein. Schon heute gibt es Zweifel, ob dieser Terminplan erfüllt werden kann. Frieden gibt es bis heute nicht in Afghanistan, die Taliban sammeln neue Kräfte. Zuletzt mehrten sich die Anschläge, die Opferzahlen von Zivilisten und Sicherheitskräften stiegen 2014 dramatisch an.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.12.2014)

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