Die Todeslisten der Nato in Afghanistan

Die Nato-Truppen Isaf führten laut
Die Nato-Truppen Isaf führten laut "Spiegel" geheime Todeslisten.REUTERS
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Nicht nur Top-Terroristen landeten laut "Spiegel" auf der Abschussliste, auch die mittlere Taliban-Führungsebene, aber auch Drogendealer. Eine Jagd mit fragwürdigen Methoden.

Es wird Bilanz gezogen dieser Tage. Mit einer feierlichen Zeremonie hat die NATO nach 13 Jahren ihren Kampfeinsatz in Afghanistan beendet. Wie brutal der Krieg in diesen 13 Jahren war, zeigt auch ein neuer Bericht des "Spiegel". Ständig kreisten Drohnen über den Bergen Afghanistans auf der Suche nach Taliban, die auf Todeslisten der Nato standen, bzw. deren Telefonsignalen. Dass gezielte Tötungen von Terroristengruppen-Anführern auf der Tagesordnung standen, gilt als bekannt. Doch wer auf diesen Listen landete und mit welchen teils unpräzisen Methoden die Ziele neutralisiert werden sollten, das berichtet der "Spiegel" aus vertraulichen Dokumenten der Nato.

So soll sich auf den Todeslisten nicht nur die Spitze der Taliban befunden haben, sondern auch die Führungsebene darunter. Bis zu 750 Namen sollen gleichzeitig auf den JPEL-Unterlagen (für "Joint Prioritized Effects List") zu finden gewesen sein. Einige davon wurden auch zum Abschuss freigegeben, weil sie Drogehändler waren und die Aufständischen mit den Verdiensten aus dem Rauschgifthandel finanziert hätten. So wurde der Krieg gegen den Terror auch zum Krieg geben Drogenbarone.

"Escalate and exit"

Der "Spiegel" wertete Unterlagen aus den Jahren 2009 bis 2011 aus, dem Beginn der Amtszeit von US-Präsident Barack Obama. 2009 starben dem Bericht zufolge 2412 Zivilisten, zwei Drittel davon durch Aufständische, ein Drittel durch Nato-Truppen oder auch durch afghanische Einheiten. Mit dem neuen Präsidenten kam auch die neue US-Strategie "Escalate and exit". Angriffe gegen die Taliban nahmen massiv zu.

Bisher waren die Todeslisten lediglich durch Erwähnungen in einigen Kriegstagebüchern bekannt gewesen, die die Enthüllungsplattform Wikileaks mit einigen internationalen Medien im Jahr 2010 veröffentlichte. Die Abwägungen der Kommandeure über Leben und Tod verdächtiger Personen wurde in den Akten teils ausführlich beschrieben. "Hussein auszuschalten bedeutete, einen fahnenflüchtigen Verräter aus den Rängen der Armee zu entfernen und zugleich zu verhindern, dass er sich den Aufständischen anschließt", zitiert der "Spiegel" die Bewertung über einen afghanischen Soldaten, der angeblich zu den Taliban übergelaufen sei. Von einem abschreckenden Beispiel ist da die Rede, aber auch von wertvollen Informationen, die mit dem Tod des Mannes verloren gehen könnten.

Tod per Anruf

Als Ziel-Identifizierung galt den Isaf-Truppen demnach oft das Funksignal von Handys in Kombination mit einer Stimmerkennung. Wurde eine Telefonnummer einer Person auf der JPEL-Liste zugeordnet, wurde dessen Stimme per Aufzeichnungen aus Archiven mit der Stimme am abgehörten Telefon verglichen. Passten die Tonproben zusammen, wurde die Zielperson zum Abschuss freigegeben. Innerhalb von 24 Stunden blieb die Identifizierung aufrecht. Die Gefahr ziviler Opfer war dadurch groß.

Von der Zahl möglicher Zivilisten-Opfer hing es auch ab, wer den Einsatz absegnen musste. "Als Faustregel galt, dass der Isaf-Kommandeur in Kabul bei einem geschätzten Kollateralschaden von bis zu zehn Zivilisten entscheidet, ob das Ziel das Risiko rechtfertigt", zitiert der "Spiegel" einen Isaf-Offizier, der sich mit den Listen jahrelang auseinandersetzen musste. Bei einer noch größeren Zahl möglicher ziviler Opfer hätte das Nato-Hauptquartier den Auftrag freigeben müssen. Bodyguards, Fahrer und männliche Begleiter seien demnach als feindliche Kämpfer einzustufen, egal ob sie es wirklich waren. Nur Kinder, Frauen und alte Menschen zählten als Zivilisten.

Deutschland gab Telefondaten weiter

Deutschland war bei der Tötung von mutmaßlichen Terroristen vorsichtiger, berichtet der "Spiegel". Der Bundesnachrichtendienst BND gab zwar Mobilfunkdaten weiter, bestreitet aber, dass diese dazu verwendet werden könnten, um gezielte Tötungen zu begehen. Im September 2010 waren nur 11 von 744 Ziele von Seiten der Deutschen auf die Todeslisten gekommen.

Auch juristisch könnten die neuen Enthüllungen Konsequenzen haben. Die Menschenrechtsorganisation Reprieve plant, die britische Regierung anzuzeigen. Denn auf den Todeslisten hätten sich auch Pakistaner befunden, die in Pakistan gewesen wären. Die britische Regierung hätte aber stets bestritten, Ziele in Pakistan anzugreifen.

Dass die gezielten Tötungen einzelner Verantwortungsträger überhaupt sinnvoll ist, bezweifelt ein CIA-Bericht aus dem Juli 2009. Gerade die Taliban besäßen eine äußerst flexible Führungsstruktur. "Die Taliban haben eine hohe Fähigkeit ausgeschaltete Führer zu ersetzen", heißt es in dem Bericht.

Die Nato war in den vergangenen 13 Jahren zeitweise mit 140.000 Soldaten in Afghanistan. Insgesamt wurden rund 3500 ISAF-Soldaten in den Kämpfen mit den radikalislamischen Taliban und bei Anschlägen getötet.

>> Artikel auf "Spiegel-online"

(Red.)

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