„Bei den Verhören fühlte ich mich oft wie ein Verräter“

Von den Taliban geächtet arbeitete Mohammed A. jahrelang als Dolmetscher im US-Militärgefängnis Bagram. Mittlerweile lebt er in den USA.

„Ich habe diese Arbeit gemacht, weil ich mich dazu gezwungen sah“, sagt Mohammed A., wenn man ihn fragt, warum er für die Nato in Afghanistan als Dolmetscher tätig gewesen sei. Unter den Taliban war seine Familie nach Pakistan geflüchtet. Nach der US-Intervention kehrten Mohammed A.s Mutter, seine beiden jüngeren Geschwister und er nach Kabul zurück. Er musste die Familie ernähren. Bei der Nato stimmte die Bezahlung.


Die Presse: In welchen Gebieten in Afghanistan kamen Sie zum Einsatz?

Mohammed A.: Wir reisten meistens durch das Land und blieben nie an einem Fleck. Oft war ich jedoch im Süden unterwegs, wo sich auch gegenwärtig immer noch viele Taliban-Kämpfer aufhalten. Wenn ich Urlaub hatte, ging ich zurück nach Kabul und besuchte meine Familie. Nachdem ich geheiratet hatte, zog ich mit Frau und Kind nach Dschalalabad.


Das Gefängnis im US-Luftwaffenstützpunkt in Bagram soll ein fürchterlicher Ort sein. Nach Berichten sollen dort Gefangene von Kampfhunden misshandelt worden sein. Was wissen Sie darüber?

Ich war mehrmals in Bagram. Dort passiert vieles; der beschriebene Fall klingt alles andere als unrealistisch. Im Vergleich zu Bagram ist Guantánamo wahrscheinlich eine Art Paradies. Die Arbeit für afghanische Dolmetscher in Bagram ist nicht einfach. Viele Menschen – meine Landsleute – werden dort ohne jeglichen Grund festgehalten. Während die Gefangenen von den US-Soldaten verhört werden, ist ein Dolmetscher stets dabei. Man erntet dabei oft verächtliche Blicke, was nicht verwunderlich ist. Immerhin sitzt man daneben, während die Person gefoltert wird. Ich fühlte mich anfangs schrecklich. Da sitzen oft Männer, meist einfache Bauern, von denen man Geständnisse über Dinge hören wollte, von denen sie wahrscheinlich noch nie gehört haben. Und sie werden vor deinen Augen drangsaliert und missbraucht, und man sitzt tatenlos da. Ich fühlte mich wie ein Verräter.


Wie sind Sie damit umgegangen?

Mit der Zeit verliert man das Gefühl. Es mag makaber klingen, aber irgendwann gewöhnt man sich an die Situation. Manchmal denkt man sich – auch das klingt inhuman –, dass der Gefangene doch einfach irgendetwas gestehen soll, damit man schnell Feierabend machen kann. Im Endeffekt geht jedoch jeder anders mit der Situation um. Viele Menschen gestehen, weil sie die Folter nicht ertragen können. Das wird dann auch einigen Dolmetschern zu viel, weshalb sie es vorziehen, den Dienst zu quittieren.


Sie leben nun in den USA. Was hat Sie veranlasst, Afghanistan zu verlassen?

Ich wollte meiner Familie ein neues Leben aufbauen, fernab von Krieg und Zerstörung. Ich hatte Glück, dass mir so schnell von den USA Asyl gewährt wurde. Viele Exkollegen warten immer noch auf eine Bestätigung, während sie um ihr Leben fürchten. Auch andere Regierungen, die am Nato-Einsatz beteiligt gewesen sind, stellen sich ungeschickt an. Viele Menschen werden einfach hängen gelassen, nachdem sie ihre Arbeit geleistet haben. Mit Dolmetschern, die in die Hände der Taliban gelangen, wird kurzer Prozess gemacht.


Waren die Taliban auch Ihnen auf den Fersen?

Ja. Mein Fahrer, den ich meinte sehr gut zu kennen, stellte sich als Taliban-Informant heraus. Er wollte mich in eine Falle locken, doch zum Glück hatten meine US-amerikanischen Kollegen sein Handy abgehört und konnten seinen Plan vereiteln. Er wurde vor meinen Augen verhaftet. Wäre dies nicht passiert, wäre ich womöglich schon tot.


Was wollen Sie nun mit Ihrem neuen Leben anfangen?

Ich möchte ein Restaurant eröffnen und meine frühere Tätigkeit hinter mir lassen. In den USA leben viele Afghanen, und soweit ich gehört habe, haben ehemalige Dolmetscher unter ihnen einen schlechten Ruf. Man munkelt sogar, dass die Taliban hier ihre Leute haben. Ich hoffe und glaube jedoch, dass das nur ein Gerücht ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.12.2014)

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