Klitschko: "Bürgermeisterjob schwerer als der des Boxchampions"

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Ex-Boxweltmeister Vitali Klitschko über seinen Ehrgeiz als Stadtoberhaupt, Kiew zu einer blühenden Stadt zu machen, und über den russischen Präsidenten: „Putin ist krank.“

Die Presse: Im Dezember vor einem Jahr waren Sie die Galionsfigur der Massenproteste auf dem Maidan. Es gab dieses eindrucksvolle Bild, wie Sie mit Fellmütze und einem Megafon in eisiger Kälte und dichtem Schneetreiben allein einer martialisch ausgerüsteten Phalanx der Berkut gegenüberstehen. Wissen Sie noch, was Sie der Spezialeinheit zugerufen haben?

Vitali Klitschko: Ja. „Das ist eine friedliche Demonstration. Wir haben keine Waffen. Wenn ihr gewaltsam gegen die Demonstranten vorgeht, werdet ihr zur Rechenschaft gezogen.“

Sie sind jetzt seit einem halben Jahr gewählter Bürgermeister von Kiew. Ist nach all dem Kampf dieses Amt die Erfüllung Ihrer politischen Ambitionen?

Im Interesse der Ukraine muss man seine persönlichen Ziele zur Seite schieben können. Präsident Petro Poroschenko, der neben mir auf den Barrikaden des Maidan stand, und ich sind ein Team mit denselben Zielen und Visionen: Die Ukraine soll ein demokratisch regiertes europäisches Land werden, wie Belgien und Holland, mit europäischen Lebensstandards und Werten. Meine Partei Udar ist nicht als eigenständige Kraft im Parlament vertreten, sondern nach einem Wahlbündnis als stärkste Gruppe im Block Petro Poroschenko. Er ist als ehemaliger Außen- und Wirtschaftsminister ein international erfahrener Politiker. Jetzt gilt meine ganze Kraft dem Ziel, aus Kiew eine blühende Stadt zu machen. Kiew hat dazu das Potenzial.

Haben Sie für dieses Erblühen Kiews Ihre Karriere in der großen Politik zurückgestellt?

Ich habe nach den Wahlen im Oktober mein Mandat im Parlament zurückgegeben. Ebenso habe ich vor Kurzem das Angebot Poroschenkos abgelehnt, sein Vizepräsident zu werden. Ich wollte nicht als Bürgermeister von Kiew zurücktreten. Die Bürger von Kiew haben mir vertraut, dass ich mich für ihre Interessen einsetze. Ich werde Kiew nicht im Stich lassen. Im Übrigen ist die Arbeit im Rathaus tausendmal spannender als vor einem Jahr das Abgeordnetendasein in der Werchowa Rada.

Als Abgeordneter auf dem Maidan aber erlebten Sie dramatische Szenen.

Es waren so viele, so furchtbare Szenen, dass ich darüber ein dickes Buch schreiben könnte. Das Bergen der Leichen war entsetzlich. Wir kennen die Namen all derer, die den Befehl gaben, auf Menschen zu schießen. Aber sie haben sich alle in Russland versteckt und finanzieren nun den Krieg im Osten mit dem Geld, das sie der Ukraine gestohlen haben.

Gibt es ein spezielles Ereignis auf dem Maidan, das Ihnen nicht aus dem Kopf geht?

Als Abgeordneter konnte ich zu den festgenommenen Demonstranten ins Gefängnis gehen. Sie waren blutverschmiert, hatten Schwellungen, blaue Flecken im Gesicht. Gebrochene Nasen. Unter den Gefangenen war auch ein übel zugerichteter alter Mann von über 80 Jahren. Er war verhaftet worden, weil er Steine auf Polizisten geworfen haben soll. „Ich stand nur zufällig da“, beteuerte er. „Ich kann gar keine Steine werfen, weil ich meine Arme nicht mehr heben kann.“ Er zeigte seine Behinderung.

In einem Radiointerview haben Sie unlängst gesagt, die Propaganda und die Restriktionen Russlands näherten sich bereits den Praktiken Nordkoreas, und Putins Haltung werde zu weiterer Eskalation führen. Sind Sie ein Putin-Verächter?

Putin ist krank. Putin hat tatsächlich mit seiner Taktik geschafft, was ich nie für möglich gehalten hatte: Dass jemand unsere beiden Brudervölker gegeneinander aufwiegeln kann. Ich weiß, wovon ich rede. Meine Mutter ist Russin. Putin will eine neue Sowjetunion aufbauen, und für dieses riesige Imperium braucht er die Ukraine. Ich weiß nicht, ob man das noch als Witz bezeichnen kann, den man sich in Kiew erzählt. Ein Russland-Deutscher schreibt einen Brief an den Kreml: „Lieber Herr Putin. In Deutschland leben fünf Millionen russischsprachige Menschen. Wir werden gezwungen, überall nur Deutsch zu sprechen. Unsere Kinder werden in der Schule gezwungen, nur Deutsch zu sprechen. Schicken Sie Ihre Armee.“

Sie müssen sich nun um vergleichsweise kleine Probleme kümmern. Etwa darum, dass in allen Haushalten warmes Wasser fließt, dass ein E-Ticketing-System für die Metro eingeführt wird, dass illegale Werbeflächen abmontiert werden, dass der Belag auf Kiewer Straßen erneuert wird, dass für den Winter genügend Schneepflüge bereitstehen. Ist das denn spannend?

Ich trage dafür nun einmal die Verantwortung, genauso wie dafür, dass ausländische Investitionen in die Stadt fließen. Kiew hat inzwischen Investoren für sechs Projekte gewonnen. Wenn sich die Menschen dafür bei mir bedanken, für Veränderungen, für mehr Sauberkeit und Ordnung, für intensive kommunale Aktivitäten, dann spüre ich ein Erfolgserlebnis. Das sind zwar keine K.-o.-Siege, aber ich sammle Punkte.


Werden die Toten vom Maidan in einer Gedenkstätte gewürdigt? Auf einem Hotelstadtplan ist auf dem Maidan bereits ein „Hundreds of Heaven Memorial“ eingezeichnet.

Die Gedenkstätte für die „Helden im Himmel“ ist erst als Architektenwettbewerb ausgeschrieben. Die Gestaltung soll einfach und dezent sein. Jeder soll die Symbolik verstehen. Es ist unsere Pflicht, das Gedenken an die Toten, an die Menschen, die für die Zukunft der Ukraine gestorben sind, für alle Ewigkeit zu bewahren. Aber Kiew tut bereits etwas für die Angehörigen. Sie werden bei der Verteilung von Bauland und Sozialwohnungen bevorzugt.

Worauf freuen Sie sich, wenn Sie morgens ins Rathaus fahren?

Auf einen positiven Report, den mir alle Ressorts jeden Morgen auf den Schreibtisch legen. Am Vortag gab es 124 Autounfälle. Aber keinen Toten; fünf Notfälle wie Rohrbruch oder Gasexplosion weniger als am Tag davor. Kriminalität nicht gestiegen. So fängt ein Arbeitstag gut an. Auch pflege ich Kontakte zu Kollegen anderer Hauptstädte. Vor allem die Kooperation mit Berlin und die Beziehung zur deutschen Hauptstadt sind mir wichtig.



Die reichen offenbar bis ins Kanzleramt.

Udar ist die kleine Schwesterpartei der CDU und wird von der Konrad-Adenauer-Stiftung unterstützt. Ich war beim CDU-Parteitag in Köln. Bei ihrem Besuch im August in Kiew hat mir Kanzlerin Angela Merkel gesagt. „Vitali“, sagte sie, „Sie haben gute Kontakte in Deutschland. Jeder kennt Sie. Nutzen Sie das.“ In meiner zweiten Heimat Hamburg habe ich mit Bürgermeister Olaf Scholz und Wirtschaftssenator Frank Horch über wirtschaftliche Zusammenarbeit gesprochen. Anschließend war ich in London bei Bürgermeister Boris Johnson, um eine Partnerschaft zwischen unseren Städten zu vereinbaren. Auch in Tel Aviv bin ich schon gewesen, um für Investitionen zu werben.



Wie halten Sie sich fit für die anstrengende politische Arbeit.

Wenn ich sechs Stunden geschlafen habe, gehe ich für anderthalb bis zwei Stunden morgens kurz nach sechs Uhr ins Fitness-Studio. Seilspringen, Schattenboxen, Sandsack. Ein Freund, ein Kollege aus gemeinsamen Zeiten im olympischen Boxstützpunkt, macht mit. Zu zweit trainieren macht mehr Spaß. Wenn ich weniger als sechs Stunden geschlafen habe, macht das frühe Training im Gym keinen Sinn. Ohne diese Trainingsbelastung aber fühle ich mich krank. Sonst fühle ich mich wie 25 und kann all den Stress bewältigen.

Wenn Sie sich eine Auszeit von acht Wochen nähmen und sich intensiv vorbereiteten, würden Sie sich einen Kampf und Sieg gegen Ihren Nachfolger als WBC-Weltmeister, den Kanadier Bermane Stiverne, zutrauen? Immerhin führt Sie der World Boxing Council in seiner aktuellen Weltrangliste als Emeritus Champion. Sie könnten also sofort wieder um den Weltmeistertitel kämpfen.

Sicherlich würde ich trotz meiner 44 Jahre in Form kommen. Aber mir fehlt die Motivation, das zu tun. Dabei ist die Arbeit eines Bürgermeisters viel, viel schwerer als die eines Boxweltmeisters. Der Kampf gegen Korruption, gegen das alte System und für Reformen geht weit über zwölf Runden hinaus. Mein Ring ist jetzt ein anderer, die Gegner sind jetzt viel stärker. Aber ich bin derselbe geblieben. Mein Motto gilt nach wie vor: Ohne Kampf kein Sieg.

ZUR PERSON

Vitali Klitschko wurde am 19. Juli 1971 im damaligen Frunse (heute Bischkek), der Hauptstadt Kirgisistans, geboren. Er startete eine Karriere als Profiboxer und wurde Weltmeister im Schwergewicht. Insgesamt gingen 87 Prozent seiner Gegner k. o. 2004 engagierte er sich für die Orange Revolution in der Ukraine, 2006 kandierte er erstmals für das Bürgermeisteramt in Kiew und für das ukrainische Parlament; Bürgermeister wurde er nicht, aber er zog ins Parlament ein. 2010 gründet er die prowestliche Partei Ukrainische demokratische Allianz für Reformen (Udar = Schlag). Er wurde 2013/2014 zu einer führenden Figuren der proeuropäischen Protestbewegung auf dem Maidan. Im Mai 2014 wurde er mit 57,4 Prozent zum Bürgermeister von Kiew gewählt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.01.2015)

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