Freiwillige Helfer in Donezk: Hilfspakete ohne politische Botschaften

Fühlt sich hier sicherer als zu Hause: Die 24-jährige Ira vor dem Eingang zu ihrem Quartier im Schutzkeller. Den Unterschlupf teilt sie sich mit anderen Alleinerzieherinnen.
Fühlt sich hier sicherer als zu Hause: Die 24-jährige Ira vor dem Eingang zu ihrem Quartier im Schutzkeller. Den Unterschlupf teilt sie sich mit anderen Alleinerzieherinnen. (c) Jutta Sommerbauer
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Unabhängig von russischen Hilfslieferungen haben Bürger im Donbass begonnen, ihren in Not geratenen Mitmenschen zu helfen. Auf Rundfahrt mit den Volontären.

Die Luft wiegt schwer drei Meter unter der Erde, es ist feucht und riecht nach Moder. In den ersten Minuten kann man kaum atmen, so drückend ist die Feuchtigkeit. Ira und ihre vier Kinder haben sich daran gewöhnt. Sie atmen lieber diese Luft ein als Frischluft.

Hier, in einem improvisierten Schutzbunker auf dem Gelände des Tscheljuskin-Schachtes am Stadtrand von Donezk, fühlen sie sich sicher vor den Geschossen, die regelmäßig in ihrem Bezirk einschlagen. 19 Kinder und ihre allein erziehenden Mütter leben in der spartanischen Unterkunft. In dem Raum stehen ein Tisch und ein paar Stühle, in einer Ecke ist eine improvisierte Kochnische eingerichtet, überall sonst liegen Holzpaletten, darauf Matratzen: die Betten der Bewohner. Über dem kalten Estrichboden ist ein Textilläufer ausgerollt, von den Wänden blättert die Farbe.

Die 24-jährige Ira steht mit Marina Tkatschenko am Tisch, setzt ihre Unterschrift neben ihren Namen. Ira erhält ein Paket mit Tee, Nudeln und Konserven – Lebensmittel für die nächsten Tage. Marina Tkatschenko – schwarzer Pagenkopf, Schutzmaske vor dem Mund, schwerer Wintermantel – geht die Liste durch. Wer hat noch ein Paket bestellt? Eine Unterschrift bitte! Ist Ljudmila da? Sie hatte doch nach Medikamenten verlangt! Hätte Tkatschenko ihre Liste nicht, sie würde in dem Durcheinander hier unten verzweifeln.

Tkatschenko ist eine freiwillige Helferin, eine Donezker Bürgerin, die angesichts des Konflikts beschlossen hat, aktiv zu werden. Sie ist nicht allein. Gemeinsam mit anderen hat sie im Juni 2014 die Initiative „Verantwortungsvolle Bürger des Donbass“ gegründet. Ein Name, der gleichzeitig Programm ist: ein Gegenentwurf zur Unverantwortlichkeit des Krieges.

Früher hat Tkatschenko für eine Handelskette gearbeitet. Heute befindet sich das Lager der Hilfsorganisation in den Verkaufsräumen, die Filiale hat zugesperrt. In einem Donezker Hotel ist das improvisierte Büro der Gruppe eingerichtet, zur Verfügung gestellt vom Hotelmanagement. Menschen kommen vorbei mit Spenden, ein Unternehmer hat gerade Unmengen an Decken geliefert, einfach so. Die tschechische NGO People in Needs unterstützt die Freiwilligen bei größeren Anschaffungen. Außer mit Lebensmittelpaketen versorgt die Gruppe die Schacht-Familien mit Medikamenten, Decken und Winterkleidung.


Fleisch und Neurussland-T-Shirts. Im Keller des Schachtes Trudowskaja ein paar Kilometer weiter haben die Bewohner heute bereits eine Hilfslieferung erhalten. Eine Gruppe steht vor einem Paket, prüfend halten die Frauen Dosenfleisch und Reispakete in Händen und verhandeln, wer welche Lebensmittel nehmen soll. Ein T-Shirt ist auch dabei, mit dem Aufdruck „Neurussland“. Ein Geschenk von Helfern, die ihre Gesinnung nicht verbergen.

Wer hilft, sichert sich auch Einfluss. Die Hilfstransporte aus Russland sind mittlerweile Gewohnheit. Kurz vor Weihnachten zählten OSZE-Beobachter den zwölften Konvoi aus dem Nachbarland. Auf den Planen stand weithin sichtbar „From Russia with Love“ und „Geschenke für die Kinder des Donbass“. Die Ankunft der Kolonnen wird von der lokalen Separatistenführung meist öffentlichkeitswirksam inszeniert – gleichzeitig sichern die Hilfslieferungen den Rückhalt der Bevölkerung. In der Region, in der internationale Hilfsorganisationen seit Monaten so gut wie nicht mehr tätig sind, haben die russischen Lieferungen ein Vakuum gefüllt. Aber auch der Donezker Oligarch Rinat Achmetow, der vor Monaten schon nach Kiew geflohen ist, lässt von Mitarbeitern seines Hilfsfonds Pakete für Familien mit Kindern verteilen. Ukrainische Freiwilligenbataillone drohten unlängst, Achmetows LKW nicht durchzulassen.

Die „Verantwortungsvollen Bürger“ haben keine politischen Botschaften. Sie wollen Zivilisten helfen, jenen, die in dem aktuellen Konflikt am meisten leiden, sagt Marina Tkatschenko. Sie ist zufrieden. Für heute hat sie alle Namen von ihrer Liste gestrichen. Die Pakete sind ausgeliefert. Morgen geht es weiter.

Donbass-Hilfe

„Verantwortungsvolle Bürger des Donbass“ ist eine Initiative, die im Juni 2014 gegründet wurde.
Freiwillige liefern Lebensmittel, Medikamente und Decken für Bedürftige in Donezk aus. Auf einer Facebook-Seite stehen Spenden-Details: https://www.facebook.com/groups/ogdonbass/
People in Needs: www.clovekvtisni.cz/

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.01.2015)

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