"Je suis Charlie": Frankreich unter Schock

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Vermummte Extremisten haben die Redaktion des Satiremagazins "Charalie Hebdo" gestürmt und ein Dutzend Menschen getötet - darunter auch den Chefredakteur und bekannte Zeichner.

Frankreich steht nach dem blutigen Attentat unter Schock. Doch eingeschüchtert ist das Land durch die Attacke nicht. In den sozialen Netzwerken tauchte ein Logo mit der Aufschrift „Je suis Charlie“ auf, mit dem viele ihre Solidarität mit der Zeitung zum Ausdruck bringen wollten. Mit terroristischen Aktionen hatte man bereits seit Wochen gerechnet, denn Frankreich ist in Afrika und im Nahen Osten an vorderster Front im Kampf gegen den islamistischen Terror engagiert. Immer wieder hatten darum auch französische Jihadisten via Internet aus Syrien und dem Irak, dem Land, in dem sie aufgewachsen sind, mit Vergeltungsaktionen gedroht. Der allem Anschein nach minutiös geplante Anschlag auf „Charlie Hebdo“ übersteigt aber die schlimmsten Befürchtungen.



Zwei oder drei vermummte, schwarz gekleidete Männer haben sich am Mittwochmorgen nach elf Uhr Zugang zur Redaktion des Satireblatts „Charlie Hebdo“ im elften Pariser Arrondissement unweit der Bastille verschafft. Dort haben sie in der Eingangshalle aus automatischen Schusswaffen vom Typ Kalaschnikow sofort und wahllos das Feuer eröffnet. Nach bisherigen Angaben sind bei diesem Massaker zwölf Menschen getötet worden, von den Verletzten schwebten gestern mehrere noch in Lebensgefahr. Unter den Todesopfern befinden sich auch „Charlie“-Chefredakteur Stéphane Charbonnier sowie die bekannten Zeichner Cabu und Wolinski. Bei zwei weiteren Opfern handelt es sich um Polizisten – das Gebäude von „Charlie Hebdo“ stand unter Polizeischutz.

Nationaler Trauertag

Frankreichs Präsident Francois Hollande hat für Donnerstag einen nationalen Trauertag ausgerufen. Die Landesflaggen sollten für drei Tage auf Halbmast gesetzt werden, sagte Hollande am Mittwochabend in einer Fernsehansprache. Er rief seine Landsleute auf, sich durch das Attentat mit zwölf Toten nicht spalten zu lassen: "Unsere beste Waffe ist unsere Einheit", sagte der Präsident.

Auch Tausende Twitter-Nutzer haben sich nach dem blutigen Anschlag mit den Opfern solidarisiert. Unter dem Hashtag #JeSuisCharlie verurteilten sie in dem Kurzbotschaftendienst die Attacke, bei der mindestens zwölf Menschen getötet wurden. Einige Nutzer luden Beileidsbekundungen oder Karikaturen hoch, während andere zur Verteidigung der Pressefreiheit aufriefen.

Raketenwerfer verwendet

Augenzeugen berichten, bei dem Angriff auf die Redaktion sei ein Raketenwerfer eingesetzt worden, und während des Angriffs hätten sie mindestens dreißig Schüsse gehört. In und rund um das Gebäude brach Panik aus, ein Teil der Belegschaft der Zeitung konnte sich über das Dach in Sicherheit bringen. Vom gegenüber liegenden Haus sahen die Mitarbeiter der Fernsehagentur Premières Lignes, wie die Attentäter danach in einem schwarzen Fahrzeug flüchteten und sich den Weg freischossen. Bei der Verfolgungsjagd fuhren sie auf der Place Colonel Fabien einen Fußgänger nieder. Am nördlichen Stadtrand zwangen sie dann einen Autofahrer, ihnen sein Fahrzeug zu überlassen. Die Polizei, die die Verfolgung aufgenommen hatte, verlor danach offenbar ihre Spur. Laut unbestätigten Angaben soll einer der Angreifer während der Aktion gerufen haben: „Der Prophet ist gerächt! ,Charlie Hebdo‘ ist tot!“ Das könnte einen ersten Hinweis auf die Motive der Terroristen geben. Das Magazin hatte vor Jahren die umstrittenen dänischen Mohammed-Karikaturen von „Jyllands Posten“ und anschließend auch in weiteren eigenen Zeichnungen den Propheten satirisch dargestellt und ihm zuletzt sogar einen Comicband, „Das Leben des Propheten Mohammed“, gewidmet. Mit solchen „blasphemischen“ Karikaturen hat sich die Redaktion den Zorn extremistischer muslimischer Kreise zugezogen.



Schon kurz nach den blutigen Vorfällen traf Staatspräsident François Hollande zusammen mit Innenminister Bernard Cazeneuve am Tatort ein. Er sprach von einem feigen und barbarischen Anschlag auf die Pressefreiheit und die Republik. Die Journalisten von „Charlie Hebdo“ seien für diese Freiheit gestorben, an der sie immer festhalten wollten, und die Polizisten bei ihrer Aufgabe, das Recht auf freie Meinungsäußerung zu schützen. Er versicherte, dass die Täter gnadenlos verfolgt würden.

Krisensitzung der Regierung

Die Regierung trat am Nachmittag zu einer Krisensitzung zusammen. Sofort nach dem Bekanntwerden des Anschlags war das Dispositiv der Terrorabwehr „Vigipirate“, das bereits auf der höchsten Alarmstufe (Rot) stand, auf die direkte Gefahrenlage „Attentat“ umgestellt worden. Das bedeutet, dass die meisten Redaktionen der Medien unter Polizeischutz gestellt werden und die Überwachung im öffentlichen Verkehr massiv verstärkt wird.

>> Link zu "Le Monde"

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.01.2015, APA/AFP/dpa)

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