Der Donezker Flughafen ist seit Beginn des Konflikts im Donbass ein heiß umkämpfter und von beiden Kriegsparteien mythisch aufgeladener Ort.
Donezk/Wien. Auf Luftaufnahmen wirkt das Areal wie eine Sequenz aus einem postapokalyptischen Alptraum: ausgebranntes Militärgerät, Gerippe einstiger Gebäude, und immer wieder schwarze Explosionskrater im weißen Schnee. Diese bizarre Landschaft ist das am heftigsten umkämpfte Territorium im Krieg in der Ostukraine: der Flughafen der Stadt Donezk. Von ihm sind nur Ruinen geblieben.
Nachdem Tage zuvor die prorussischen Separatisten von der Einnahme des neuen Terminals berichtet hatten, setzte die ukrainische Armee die am Sonntag begonnene Offensive gestern fort. Es ist ein verlustreicher Kampf: Die Militärführung der Ukraine gab bekannt, dass in den vergangenen 24 Stunden drei Soldaten getötet und 66 verwundet worden sind. Angaben vonseiten der Separatisten waren zunächst nicht verfügbar.
Seit dem Beginn seiner Besetzung durch prorussische Bewaffnete Ende Mai haben beide Seiten immer wieder die Kontrolle über den Flughafen, der erst 2012 vor Beginn der Fußball-Europameisterschaft neu eröffnet worden war, beansprucht. Die Ukraine startete zunächst Luftangriffe gegen die in dem Gebäude verschanzten Kämpfer. Für längere Zeit hielten Armee und Freiwilligenbataillone den Flughafen. Seit Sommer rückten die Freischärler der Donezker Volksrepublik (DNR) wieder heran – bis es am vergangenen Donnerstag hieß, die Kämpfer hätten auch den sogenannten neuen Terminal eingenommen. Dort präsentierte sich Republikschef Alexander Sachartschenko angeblich tags darauf dem Lokal-TV. „Der Flughafen gehört uns“, so die Stimme aus dem Off, während Sachartschenko zu sehen ist, wie er zwischen Schutt und Leitungen herumstapft: ein Triumph der Zerstörung. Die ukrainische Militärführung dementierte umgehend – und holte am Sonntag zum Gegenschlag aus. Angesichts der andauernden Kämpfe gibt es keine unabhängige Bestätigung, wer nun tatsächlich Herr über den völlig zerstörten Komplex ist.
Berichte der Militärführungen über die Lage am Flughafen sind generell mit Vorsicht zu genießen. Denn für beide Seiten ist der Ort zu einem Propagandaobjekt geworden. Berichte über die heldenhaften Kämpfer werden auf beiden Seiten der Frontlinie verbreitet: Für die Ukrainer sind es die sogenannten Kiborgi – also zu Cyborgs verklärten Soldaten –, die den Separatisten standhalten. Auf der Gegenseite kämpfen die Untergebenen von Kommandanten wie Giwi – dem Befehlshaber der Abteilung Somali – und dem rotbärtigen, ungehobelten Motorola, gerade eben noch totgesagt und wiederauferstanden. „In diesem Kampf werden Männer verheizt“, sagt ein Donezker Lokaljournalist trocken. „Wenn die einen sterben, kommen eben neue nach. An Idioten ist kein Mangel.“ Wie viele Soldaten und irreguläre Kämpfer in den monatelangen Gefechten gefallen sind, war für die „Presse“ nicht feststellbar. Vermutlich sind es mehrere hundert.
Strategisch oder symbolisch?
Umstritten ist, ob der Flughafen tatsächlich die strategische Bedeutung hat, die ihm zugeschrieben wird. Armeesprecher Andrij Lysenko sagte gestern, dass die Separatisten den Ort als „Abschussrampe“ für ihre Attacken verwenden wollten. DNR-Informationsministerin Marina Bereschnewa erklärte gegenüber der „Presse“, für die Armee sei der Flughafen das „Einfallstor nach Donezk“. Für den Militärbetrieb könne man die Landebahn wohl relativ schnell wieder auf Vordermann bringen, meint ein Diplomat und sieht den Flughafen als Basis für „einen größeren Aktionsradius und ein Mehr an Drohpotenzial“. Abgesehen von der strategischen Bedeutung ist für beide Seiten der Flughafen zu einem mythischen Kriegsschauplatz geworden. Hier ringen Armee und Separatisten auch um einen symbolischen Sieg.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.01.2015)